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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin
Autoren: Anne Butterfield
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schon an meinen glücklichen, atmenden Füßen, aber an Saint-Jean-Pied-de-Port habe ich keinerlei Erinnerung. Wie sieht es bloß dort aus? Ich entsinne mich nur eines Mannes, der mir mein credencial (den Pilgerausweis) über einen kleinen Tisch reicht, bevor ich aus einer Schachtel meine Muschel aussuche.
    Die Nacht senkt sich über den European Bike Express, der durch Frankreich auf Bayonne zusteuert. Die Passagiere bestellen Lasagne aus der Mikrowelle und Rotwein, Gary bringt uns alles an den Platz. Wir lesen unsere Sportteile, Fahrradzeitschriften und Romane, bis wir einer nach dem anderen in den Schlaf gleiten. Ich frage mich, wo ich wohl sein werde, wenn am kommenden Samstag Englands erstes Weltmeisterschaftsspiel gegen die USA stattfindet? Mein Reiseplan sieht lediglich vor, dass ich bis Santiago kommen und am 25. Juli wieder in Bayonne sein möchte, um dort den Bus zurück nach Yorkshire zu nehmen. Sechs Wochen und fünf Tage, um den Camino hin und zurück mit dem Fahrrad zu bewältigen. Also mehr Zeit als genug …

Mittwoch, 9. Juni 2010 – Ankunft
    Ich reise per Bus von Bayonne in Frankreich nach Saint-Jean-Pied-de-Port
    Um acht Uhr weckt mich Garys Ankündigung, dass wir in zwanzig Minuten an einer aire , einem Rastplatz, halten werden. Ich habe mich fest in den Schlafsack gerollt, den ich am Abend hinter meinem Sitz gefunden hatte. Steve ist fort. Er ist um vier Uhr morgens in Poitiers ausgestiegen, ohne dass ich irgendetwas davon mitbekommen hätte, obwohl es wie eine Stockhausen-Symphonie geklungen haben muss, als er all seine Plastiktüten und Fahrradtaschen zusammengesucht hat. Ich ziehe die Frühstückskarte aus der Tasche vor meinem Sitz und sehe, dass aus dem Netz auch ein Zettel von Steve ragt:
    »Liebe Anne – war nett, dich kennenzulernen – melde dich doch mal, wenn du willst, wäre nett, zu hören, wie du vorankommst. Pass auf dich auf – alles Gute – Steve.
    PS. Bitte grüß auch Mike von mir und wünsch ihm alles Gute. Danke.«
    Ich richte Mike sofort die Grüße aus. Solche Kameradschaft, wie sie schon hier im Bus entstanden ist, ist einer der Gründe, warum ich so oft in die Ferne reise. Schon jetzt fühle ich mich als Teil einer Gemeinschaft, diesmal der Bruderschaft der Radfahrer, und das gibt meinem Selbstvertrauen ein wenig Auftrieb und ermutigt mich, Mike zu fragen, wie man das Multi-Tool benutzt. Er startet eine pantomimische Vorstellung, die von Jacques Tati stammen könnte. Einen Finger krümmt er als Kettenglied, an dem er sich mit diesem Reparaturdings mit weit ausholenden Gesten zu schaffen macht. Sein technischer Monolog hätte eine größere Zuhörerschaft verdient. Ich bin fasziniert, gebe aber nicht zu, dass ich kein Wort davon verstehe. Ich versuche es, strenge mich wirklich an, doch in meinem Hirn gibt es einfach keine Neuronalverbindungen für das Reparieren von Ketten. Zwar registriere ich das Grundprinzip, aber falls mir morgen auf halbem Weg den Col hinauf die Kette reißt, werde ich das Fahrrad schieben müssen, bis echte Radfahrer vorbeikommen und mir helfen – wenn mir überhaupt jemand begegnet. Ich ahne noch nichts von den Schwierigkeiten, mit denen ich morgen tatsächlich konfrontiert sein werde und bei denen mir das Multi-Tool rein gar nichts bringen wird. Dieses Nichtwissen ist letztendlich doch ein Segen, denn wenn ich auch nur ansatzweise wüsste, was mir bevorsteht, würde ich in diesem Bus sitzen bleiben, bis er in Bayonne wieder umkehrt und nach England zurückfährt.
    Da ich aber keine Ahnung habe, steige ich wie geplant in Bayonne beim Hotel Formule 1 aus und befestige meine drei Fahrradtaschen am Gepäckträger. Es regnet, und so kann ich nicht einmal dieses Ritual durchführen, ehe ich die Aldi-Überhose aus der Satteltasche gekramt habe. Ich ziehe sie verkehrt herum an, weil sie an den Knienähten nicht hundertprozentig wasserdicht ist. Es dauert eine halbe Ewigkeit, und als ich aufblicke, lehnt nur noch mein Fahrrad einsam am Hotelzaun. Alle anderen Radfahrer, die ebenfalls in Bayonne ausgestiegen sind, haben sich längst aus dem Staub gemacht und sind wahrscheinlich schon auf halbem Weg über die Pyrenäen. Nein, doch nicht. Als ich die hässliche Ansammlung von Motels und Lagerhallen hinter mir habe, sehe ich zu meiner Erleichterung eine Gruppe der Mitreisenden vor dem ersten Café an der Hauptstraße Kaffee trinken und Croissants essen. Ist es mein Schicksal, immer die Letzte zu sein? 2001 hatte mich in Roncesvalles, wo ich morgen
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