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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin
Autoren: Anne Butterfield
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es wohl am Donnerstag überhaupt auf den Col de Lepoeder schaffe? Irgendetwas stimmt nicht mit dem Fahrrad, denke ich, als ich durch das Tor der Broadcut Farm fahre, wo mein Auto die sieben Wochen meiner Pilgerfahrt verbringen wird.
    Als ich im Hof der Farm das Fahrrad aus dem Auto zerre, kommt durch den Schlamm eine richtige Radfahrerin herangestapft und hilft mir.
    »Aha, ich sehe, Sie setzen auf Tempo«, meint sie, ganz Expertin.
    Wie bitte? Was meint sie bloß? Mich oder das Fahrrad? Jedenfalls bestimmt nicht die fünfzehn Kilo Gepäck, die noch im Autoversteckt sind. Ich folge ihrem Blick und sehe, dass sie die Reifen bewundert, die schmaler sind als bei ihrem Mountainbike.
    Ich unterdrücke einen weiteren Anflug von Selbstzweifel, befestige die Taschen am Fahrrad und schiebe das Monstrum über die Straße, um auf den Bus nach Bayonne warten.
    Mit mir stehen neun weitere Menschen im Nieselregen unter den Bäumen. Die Fahrräder liegen im nassen Gras – eine letzte Verschnaufpause vor der großen Bewährungsprobe. Meine Doc Martens leiten die Feuchtigkeit bereits durch meine Aldi-Fahrradsocken. All meine Radfahrerkollegen, sämtlich mit anständigen Fahrradschuhen ausgestattet, werden morgen irgendwo in Frankreich aussteigen, um auf Landstraßen oder an Kanälen entlang in ihr Ferienabenteuer zu starten. Ich bin die Einzige im Bus, die vorhat, nach Santiago zu radeln. Angesichts der zahlreichen widrigen Faktoren – das viele Gepäck, die mangelnde Gesellschaft, meine Unerfahrenheit als Radfahrerin – nehme ich etwas besorgt und nervös in dem Doppeldeckerbus Platz. Ich komme mir wie eine Außenseiterin vor und blinzle angestrengt in den Regen hinaus, als wir über die M 1 Richtung Dover zur Fähre nach Frankreich losfahren.
    Nach ganzen zehn Minuten Fahrt durch das miese Wetter halten wir an der Raststätte Woolley Edge zum Frühstücken an. In meiner gelben, wasserdichten Fahrradjacke versuche ich, zünftig auszusehen, und blättere ganz lässig im Sportteil des Guardian , als die Radlerin aus dem Bauernhof mich fragt, wohin meine Reise geht.
    »Ich fahre den Camino nach Santiago de Compostela«, antworte ich.
    Auf ihren verständnislosen Blick hin beschreibe ich ihr die Route, doch auch das hilft nichts. Sie hat noch nie vom Camino gehört. Typisch. Seitdem ich den Weg vor neun Jahren zum ersten Mal zurückgelegt habe, machte die bloße Erwähnung immer wieder langatmige geografische Beschreibungen und einen Abriss der Biografie des heiligen Jakob notwendig. Am Ende war ich jedes Mal total erledigt, darum spreche ich nur darüber, wenn es sich nicht vermeiden lässt.
    Von ein paar aficionados einmal abgesehen kennt kaum jemand in England den Camino. Spanien verbinden Engländer vorallem mit zwei Dingen: mit Benidorm und den Balearen, wo wir uns gegen die Deutschen im Handtuchkrieg behaupten müssen, also jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe Liegestühle am Pool besetzen, um unser Revier abzustecken. Als Teenager mussten meine Schwester Jane und ich das jeden Sommer während der Familienferien in Ca’n Picafort oder Cala Millor übernehmen. Meine Eltern wollten sich nicht selbst dazu herablassen, legten aber trotzdem größten Wert darauf, den Deutschen bei den besten Liegestühlen am Pool zuvorzukommen. In ihrer von englischen Boulevardzeitungen geprägten Sicht der Welt waren die Deutschen eine aggressive Meute ungehobelter Rüpel, denen Widerstand zu leisten unsere patriotische Pflicht war. Als ich sechzehn und Jane fünfzehn wurde, war uns dieses primitive Manöver so peinlich geworden, dass wir die Aufgabe unseren kleineren Geschwistern Elizabeth und Robert übertrugen und so morgens länger liegen bleiben konnten. Wir hatten unsere Pflicht fürs englische Mutterland getan.
    Von der Liege aus, die ich morgens »erobert« hatte, verfolgte ich den Kampf der Kulturen. Zwischen halb geschlossenen Lidern hindurch beobachtete ich die Deutschen und kam zu dem Schluss, dass sie, nun ja, genau so waren wie wir. Genau so. Sie tranken jede Menge Bier und lachten permanent sehr laut. Leider hatte ich in der Schule Latein gewählt und nicht Deutsch. Warum? Hatte ich geglaubt, es sei wahrscheinlicher, in den Ferien einen römischen Zenturio kennenzulernen als einen deutschen Jugendlichen? Erst 2001 konnte ich dieses Versäumnis beheben, indem ich mich, auf dem Camino unterwegs in Richtung Santo Domingo de la Calzada, mit einem dieser inzwischen schon deutlich reifer gewordenen deutschen Jugendlichen in Gestalt von
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