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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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Konterfei ihres toten Helden Che, »comandante amigo«, wie sie Ernesto Guevara nannten. In Militäruniform, mit rotem Stern auf der Mütze und entschlossener Miene. Che war ihr Nationalheld und nicht, wie bei uns vielfach angenommen, bloß eine coole Abbildung auf einem T-Shirt.
    Gegensätzliches wechselte sich in Havanna innerhalb weniger Meter rasant ab. Fröhliches und Trauriges, Faszinierendes oder Abstoßendes, Armut mit Reichtum. Sie verliefen ineinander und ließen ihre klaren Abgrenzungen diffus erscheinen. Beschreibungen wie »schön« oder »hässlich« traf die Vielschichtigkeit der Äußerlichkeiten nicht mehr. Es war anders, mitunter gleichermaßen schön wie hässlich.
    Manchmal fielen unsere Blicke durch eingestürzte Mauern oder klaffende Risse. Nur bunt behangene Wäscheleinen verrieten die Anwesenheit der Bewohner. Auch wenn die Häuser nicht mehr ohne Einsturzgefahr waren, boten sie immer noch vielen zumindest ein Dach über dem Kopf. Traurige Armut wohnte in diesen Trümmern, die trotzdem eine frühere Pracht der alten Gebäude erkennen ließ. Die Schönheit der Stadt mit ihren ehrwürdigen Bauten erschien in vielen Stadteilen, als wäre sie von einer schleichenden Krankheit befallen. Sie fraß unerbittlich und unaufhaltsam den Lebensraum ihrer Bewohner bis auf das Skelett herunter, schwächte bis zum Kollaps. Je weiter wir uns jedoch dem historisch vorzeigbaren Altstadtkern Havannas näherten, umso umfangreicher waren die Wiederbelebungsversuche am Sterbenden. Ganze Straßenzüge wurden zu neuem Leben erweckt und als touristische Sehenswürdigkeit mit dem Stempel des scheinbar imageträchtigen »Weltkulturerbe der Vereinten Nationen« aufpoliert. Schließlich besuchten viele Touristen, als privilegierte Ausländer mit Devisen, dieses Land in der Karibik.
    Wir gehörten in den Augen der Einheimischen zweifelsfrei in diese Gruppe der wohlhabenden Ausländer, trotz einfacher Kleidung und ohne jeglichen funkelnden Schmuck. Für ihr Urteil genügte unsere bloße Anwesenheit in ihrer Heimat.
     
    Das spürten wir physisch gleich in der ersten Woche, als Birte und ich uns krampfhaft an den wenigen Stangen im öffentlichen Bus festhielten. Die Sitzplätze mit aufgerissenen Polstern waren alle besetzt. Der Fahrtwind wehte durch die Löcher im durchgerosteten Metalldach. Von allen Seiten drückten sich leicht bekleidete Körper an uns. Kuba, das Land der kurzen Röcke und engen T-Shirts. Mir klang der Warnhinweis unseres Gastvaters im Ohr: »Nicht mal wir Einheimischen fahren in Havanna mit dem öffentlichen Bus, wenn es nicht unbedingt sein muss.« Dafür fuhren aber ziemlich viele mit. Zumindest das Umfallen war hier unmöglich.
    Eine Hand fuhr vorsichtig über meinen Körper, als ich mich mit beiden Händen an der Busstange festhielt. In diesem Gedränge kann sich schon mal eine Hand verirren, dachte ich. Plötzlich spürte ich etwas anderes. Ich merkte, wie mir dicke Schweißtropfen aus den Poren schossen. Von allen Seiten drückten sich Menschen an mich und ich spürte etwas Hartes an meinem Hintern. Es war genau in Penishöhe und es fühlte sich genauso an. Entsetzt versuchte ich mich umzudrehen, denn ich wollte mich in meinem Gefühl irren. Ich erhoffte mir eine andere Erklärung, als einen erigierten Penis an meinem Allerwertesten. Aber ich schaffte nicht einmal eine winzig Drehung, denn mehrere Männer drückten sich an mich. Ich wurde panisch, weil der Druck des Harten sich verstärkte und ich mich nicht wehren konnte. Dem dünnen Stoff meiner Shorts vertraute ich auch nicht ewig, dem Druck reißfest zu widerstehen.
    Birte stand ebenfalls eingequetscht einen Meter im Bus vor mir. Ich sah, wie sie sich millimeterweise um ihre eigene Achse zu mir umdrehte und mich ansah.
    »Was ist denn mit dir los?«, fragte Birte verwirrt über drei Köpfe hinweg. »Du siehst ja furchtbar aus.«
    »Mir drückt gerade jemand seinen harten Schwanz an meinem Hintern«, formulierte ich meine Empfindung etwas grob. Dabei hielt ich die Busstange über meinem Kopf noch verkrampfter fest.
    »Du hast was?«, fragte sie entsetzt. Dabei flog ihr Blick prüfend über meine Nachbarn.
    »Ich finde nicht einen Millimeter Platz, um mich zu rühren, geschweige denn, mich zu wehren.«
    »Ingo, lass uns raus hier.«
    »Und jetzt wandern gerade Hände über meinen Körper.« Ich machte eine kleine Pause. »Scheiße, jetzt werde ich beklaut.«
    Der einzige Geldschein aus meiner tiefsten Hosentaschen, den wir uns getraut hatten
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