Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ian Yery & der Hardcore Absolute Beginner

Ian Yery & der Hardcore Absolute Beginner

Titel: Ian Yery & der Hardcore Absolute Beginner
Autoren: Kooky Rooster
Vom Netzwerk:
die Verpackung des Spiels hoch, als wäre sie der heilige Gral.
    Ein imaginärer Frauenchor ertönte, und in diesen kurzen Sekunden brach die Sonne durch die Wolken, blinzelte durch das geöffnete Fenster und reflektierte sich goldschimmernd auf der Hülle. Das sah so magisch aus, dass Judith beinahe auf die Knie ging … vor ihrem weißen Ritter. Oder eher dem schwarzen Ritter mit Marilyn-Manson-T-Shirt und einer fünf Euro XXL-Jogginghose, deren Bestimmung, entgegen ihrer Begriffsbezeichnung, nicht das Laufen war.
    „Guck mal!“, rief Stefan erregt, und drückte Mo die Hülle in die Hand.
    Auf dem Cover prangte ein Foto des Spielecharakters. In der hohen Auflösung des Drucks sah er Mo noch viel ähnlicher. Das konnte doch nicht sein! Mos Mundwinkel zuckten. Mal grinste er, dann presste er die Lippen aufeinander und über den hochgezogenen Augenbrauen kräuselten sich Stirnfalten. Dabei schüttelte er immer wieder ungläubig den Kopf.
    „Hast du deine Visage verhökert?“, fragte Judith ihn.
    „Man kann seine Visage nicht verhökern“, erklärte Stefan milde lächelnd.
    „Kann man sehr wohl!“, erwiderte seine Freundin schnippisch.
    „Kann man nicht!“
    „Kann man doch!“
    „Kann man nicht!“
    „Doch!“
    „Nein!“
    „Oja!“
    „Neihein!“
    „Leute!“, unterbrach Mo die beiden Streithähne. „Ich hab mich
nie
irgendwo eintragen, fotografieren oder Ähnliches lassen. Keine Ahnung, woher die meine Fresse haben!“
    „Vielleicht aus dem Internet?“, mutmaßte Judith.
    „Es gibt keine Fotos von mir im Internet.“ Da war sich Mo ganz sicher.
    Er achtete penibel darauf. Man hatte ihn im Kletterverein schon mehrmals gebeten, Fotos von sich für die Homepage freizugeben, doch er lehnte das rigoros ab. Auch seinem Arbeitgeber hatte er strikt untersagt, Bilder von sich in den Webauftritt einzuflechten. Er war, was seine Internetpräsenz betraf, extrem vorsichtig, manche nannten es auch schon paranoid. Mo hatte die Befürchtung, dass jemand Fotos von ihm missbrauchen könnte, um zum Beispiel für Potenzmittel oder Singleportale zu werben. So etwas war vor Jahren mal seinem Ex-Freund passiert. Dieser hatte damals ein ziemlich heißes Foto von sich in einem Forum veröffentlicht und sich einige Monate später als
'Treffen-Sie-Boys-aus-Ihrer-Umgebung'
-Werbemaskottchen wiederentdeckt.
    Dass sein Gesicht nun tausendfach, wahrscheinlich sogar millionenfach auf der ganzen Welt verbreitet wurde, entsetzte Mo. Ihm wurde schlecht.
    „Sorry – ich muss mal …“, brabbelte er und stürzte aus Stefans Zimmer, um sich gleich darauf im Bad zu übergeben.
    Er tappte danach einige Minuten kopflos und aufgekratzt durch die Wohnung, dann zog er Laufschuhe an und joggte zwei Stunden durch den strömenden Mairegen. Es half nicht. Unterwegs hatte er Zeit gehabt, darüber nachzudenken und kehrte noch aufgeregter zurück, als er vorhin losgesprintet war. Noch schlimmer ging es ihm, als er im Internet stöberte und herausfand, dass sein Gesicht durch die Vermarktung das Spiels und durch Gamer bereits überall verbreitet worden war. Okay – es war nicht wirklich
sein
Gesicht sondern das dieses Spielecharakters, und immerhin stand nicht Mos Name dabei sondern
'Ian Yery' –
so hieß dieser virtuelle Kriegsheld. Wahrscheinlich vermutete auch niemand, dass irgendwo eine reale Person existierte, die genauso aussah wie dieser Charakter. Dennoch. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er von Gamern erkannt werden würde.
    Zu allem Überfluss arbeitete Mo in einem Copyshop. Schüler und Studenten waren die häufigsten Kunden, also jene Gruppe von Menschen, die am ehesten dieses Spiel zockte. Laut Stefan war es erst vor wenigen Tagen neu auf den Markt gekommen. Es würde also nur noch eine Angelegenheit von Tagen sein bis es losging und man ihn darauf ansprach.
'Hey, du siehst ja voll aus wie Ian Yery.'
    Was, wenn eines dieser pickeligen Kids ihn mit dem Smartphone aufnahm und das Video oder Foto dann ins Internet stellte? Mo, die Kuriosität, der Freak, der aussah wie eine Computerspielfigur.
Panik
. Da war er die ganze Zeit so vorsichtig gewesen, und nun griff die Kralle des Internets doch noch nach ihm.
     
    … 150.000.000 Lover …
    „Stefan, wo ist die Hülle von diesem gottverdammten Spiel!“, brüllte Mo um vier Uhr morgens und stürmte in das finstere Zimmer seines Mitbewohners.
    Er rüttelte Stefan, der wie ein Gebirgsmassiv vor seinem grellen Bildschirm saß und erschreckte ihn damit fast zu Tode, da dieser ihn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher