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Hybrid

Titel: Hybrid
Autoren: Andreas Wilhelm
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groß, wie man es sonst nur von geschlossenen Industriekomplexen kannte.
    Am zweistöckigen Gebäude des Rechtsmedizinischen Instituts erwartete ihn eine mit Chipkarte gesicherte Glastür, die ihm ein Pförtner von innen mit einem Summer öffnete.
    Als Tom an den Empfangstresen trat, war dort bereits eine junge Frau im Gespräch. Er blieb ein Stück weit zurück und sah sich um. Das Ganze wirkte eher wie eine Behörde als wie ein Gebäude, in dem Leichen aufgeschlitzt und zerteilt wurden. Tom war nicht zimperlich, aber der Gedanke daran ließ einen Schauer über seinen Rücken laufen. »… ist der Fuß denn hier eingetroffen?«
    Tom fuhr herum. Sprach die Frau über den Fuß?
    »Du weißt doch, dass ich darüber keine Auskunft geben darf«, antwortete der Mann hinter dem Tresen.
    »Mensch, Frank, du kennst mich doch. Ich möchte nur wissen, wer daran arbeitet.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich kann dir echt nicht helfen. Vielleicht, wenn du Professor Heide fragst, aber der ist erst morgen wieder da.«
    Die Frau blieb noch einen Augenblick unschlüssig stehen.
    »Wirklich, Juli«, wiederholte er. »Komm einfach morgen noch mal, dann kann ich den Professor für dich erreichen.«
    »Na gut.« Sie nickte. »Danke trotzdem.« Dann wandte sie sich um und wäre beinahe mit Tom zusammengestoßen. Dabei rutschte ihre Tasche von der Schulter und fiel zu Boden. Ein Stapel Zeitschriften, Blöcke und allerlei kleinere Utensilien schlitterten heraus.
    »Oh, tut mir leid«, sagte Tom. Er bückte sich und half ihr dabei, die Gegenstände einzusammeln. Sofort fielen ihm einige Details auf: Harvard Business Manager, Spektrum der Wissenschaft, Newsweek. Spiralblöcke mit gelochtem Rand, ein abgegriffenes Moleskine-Notizbuch, ein Federmäppchen, ein Portemonnaie, ein Handy. Keine losen Accessoires wie Lippenbalsam, Handcreme, Bürste oder Tampons. Vermutlich eine dieser unausstehlich streberhaften Studentinnen, die zum Lachen in den Keller gingen und lieber als Mann auf die Welt gekommen wären.
    »Danke«, sagte die junge Frau, während sie die Sachen entgegennahm und alles wieder einpackte. Sie nickte ihm noch einmal zu, dann ging sie zur Tür.
    »Warten Sie!«, rief Tom ihr hinterher, der noch ein Streichholzbriefchen auf dem Boden entdeckte. »Hier sind noch Ihre Streichhölzer.«
    Sie drehte sich um, zögerte offenbar, ob sie noch einmal zurückkommen sollte, winkte aber schließlich ab. »Danke, aber … ach, behalten Sie sie ruhig.« Dann war sie verschwunden.
    Tom zuckte mit den Schultern. Er lehnte sich mit einem Arm auf den Empfangstresen, sah der Frau durch die Glasfront hinterher und wandte sich dann wie beiläufig an den Portier.
    »Sind eigentlich alle hinter diesem verdammten Fuß her? Kaum steht mal was in der Zeitung … unfassbar.« Er setzte eine ernste Miene auf. »Tom Hiller. Doktor Hiller. Professor Heide schickt mich«, erklärte er dann. »Er möchte die Befunde über diesen Fuß vom Elbstrand geschickt bekommen. Per Mail oder Fax. An wen muss ich mich wenden?«
    Der Mann sah ihn ausdruckslos an. »Ich sage ihm Bescheid«, meinte er. »Dann kann er selbst runtergehen und sie sich im Labor abholen.«
    »Abholen? Aber wieso ist er hier? Er hat mich doch vor einer halben Stunde angerufen …?«
    »Wohl kaum.«
    »Aber Sie haben doch eben selbst gesagt, dass er erst morgen zurückkommt.«
    »Weil er den ganzen Tag in einer Sitzung im ersten Stock ist.«
    »Dann …«, Toms Gedanken kreisten wild. »Dann hat er mich vermutlich auch gar nicht angerufen …?«
    »Vermutlich.«
    Tom schlug mit der Hand auf den Tresen und sprach halblaut zu sich selbst. »Verdammt, Denis, du Bastard.« Und wieder an den Portier gerichtet: »Tut mir leid, mein Kollege aus der Urologie hat sich wohl einen Spaß erlaubt. Macht er öfter, seit er mich mal untersucht hat. Hat vermutlich tiefenpsychologische Gründe. Neidreaktion, wissen Sie.«
    Der Portier reagierte nicht.
    Tom verzog den Mund zu einem künstlichen Grinsen, dann verließ er das Gebäude und machte sich auf den Weg in seine Wohnung.
    Tom lehnte sich zurück und streckte sich. Die Recherche im Netz hatte ihm keine brauchbaren Hinweise geliefert. Ähnliche Fälle gab es in Hamburg keine, und auch über die seltsame Violettfärbung des Fleisches war nichts in Erfahrung zu bringen. Er würde einen Experten zurate ziehen müssen. Dazu war es nun allerdings zu spät.
    Er stand auf, ging zum Kühlschrank und holte sich ein Bier. Zurück im Wohnzimmer steckte er sich eine
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