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Hybrid

Titel: Hybrid
Autoren: Andreas Wilhelm
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auf mich zu und hielt mich fest. Er sagte mir hinterher, er habe nie zuvor gesehen, wie ein Mensch innerhalb von Sekundenbruchteilen erst grau und dann weiß wie eine Marmorsäule wurde. Hätte er mich nicht gehalten, wäre ich umgekippt und auf den Boden geschlagen.
Café Transmontana, Schanzenviertel, Hamburg, 19. Juli
    Ben trat mit vier Gläsern Milchkaffee aus dem Inneren des Cafés und ging zu einem der Biergartentische hinüber, die auf der Promenade aufgestellt waren. Er stellte die Gläser ab und verteilte sie an seine Freunde, als er Juli entdeckte. Sie saß in einiger Entfernung und war in ihre Notizen vertieft.
    »Die Toasts kommen gleich«, sagte er an die anderen gewandt. »Ich bin gleich wieder da.«
    Er ging durch die Reihen der Tische, die am Vormittag nur zur Hälfte besetzt waren, und nahm ihr gegenüber Platz. Ihre kurzen braunen Haare hingen ihr wie ein Vorhang um ihr Gesicht, während sie in ein Moleskine-Buch schrieb.
    Er hatte Juli etwa ein Jahr zuvor auf einer Party kennengelernt, eine dieser halboffiziellen Agenturpartys, wo man nur rein kam, wenn man von jemandem mitgenommen wurde, der jemand kannte. Aber im Grunde war dies nicht weiter schwer, denn die Szene war verhältnismäßig klein, und selbst als Student bekam man schnell Anschluss, weil die Hälfte der Agenturleute ohnehin Studenten waren, die eigentlich noch ihr Diplom machen wollten, aber sich in Wahrheit schon seit Jahren als feste Freie die Überstunden um die Ohren schlugen in der Hoffnung, irgendwann einmal von einer der großen Agenturen übernommen zu werden. Juli war ihm aufgefallen, weil sie etwas abseits auf einer Couch gesessen hatte. Nicht im üblichen Agenturstil aufgemacht, sondern dezent lässig und ohne den alternativen Studentenlook. Auch die Tatsache, dass sie nicht von einem Haufen Werbetexter oder Webdesigner umgeben war, zeigte ihm, dass sie irgendwie nicht dazugehörte. Sie strahlte eine Selbstsicherheit aus, die vermutlich schon ausreichte, um die allzu schlichten Anbaggerversuche der Meute fernzuhalten.
    Ben hatte sie eine Weile beobachtet, wie sie sich immer wieder mit wechselnden Gesprächspartnern abgab, die sich zu ihr gesellen wollten. Sie wirkte dabei offen, aber unverbindlich, und Ben stellte amüsiert fest, wie viele nach einer Weile etwas steif und mit hochgezogenen Augenbrauen abzogen, um sich anderswo nach Amüsement umzusehen. Juli, so schien es ihm, lächelte dabei leise in sich hinein, schien ganz zufrieden mit ihrer Rolle und hatte es wohl auch nicht auf nähere Kontakte abgesehen. Es war ihm klar, dass er sie kennenlernen musste. Seine erste Lektion lernte er, als er sie mit einem »Hi, ich bin Ben. Na, arbeitest du hier?« ansprach und »Bisschen trockene Luft hier« als Antwort bekam.
    »Äh, ja, kann ich dir etwas zu trinken bringen?«
    »Muss dir ja wichtig sein.«
    »Keine Ahnung. Sollte es?«
    »Deine Entscheidungen musst du schon selbst treffen.«
    Perplex wandte er sich ab und entschied sich, sie einfach sitzen zu lassen. Aber natürlich nagte es an ihm, und eine Viertelstunde später passte er eine Pause ab, in der gerade niemand in ihrer Nähe stand und sie gelangweilt aus einem Fenster sah. Mit zwei Flaschen Bionade ging er zu ihr.
    »Ihre Bestellung, Miss Untouchable.«
    Sie nahm die Flasche entgegen. »Das war ja irre witzig.«
    »Ist mir nicht aufgefallen«, gab er zurück. Dann setzte er sich ihr gegenüber in ein Fat-Boy-Kissen und starrte wortlos aus dem Fenster.
    Nach fünf schweigsamen Minuten stellte sie ihre leere Flasche auf den Tisch.
    »Das war gerade das intelligenteste Gespräch heute Abend«, sagte sie. »Danke für die Limo.«
    »Muss dir ja wichtig sein«, entgegnete er mit einem Seitenblick auf sie.
    Sie lachte auf. »Oh, ein Elefantenhirn. Was meinst du denn?«
    »Dass du intelligente Gespräche führen kannst, ist dir wohl wichtig.«
    »Dir nicht?«
    »Ich höre mir den ganzen Tag intelligente Gespräche an, da kann ich abends gerne mal drauf verzichten.«
    »Tja, tut mir leid, wenn ich dich langweile.«
    Jetzt wandte sich Ben ihr zu. »So meinte ich es nicht.«
    »Nein?«
    »Ich studiere Jura und werde den ganzen Tag zugequatscht.«
    »Medizin. Ich bin Juli.«
    Er lächelte. »Nett. Heißt das, wir unterhalten uns jetzt?«
    »Sieht wohl so aus, hm?«
    »Ich frage mich, was du hier machst. Hast du etwas mit der Agentur zu tun? Ein Partytiger scheinst du ja nicht gerade zu sein.« Augenblicklich biss er sich auf die Zunge. Aber sie blieb gelassen.
    »Bin ich
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