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Hundsmiserabel

Hundsmiserabel

Titel: Hundsmiserabel
Autoren: Steffi von Wolff
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herzzerreißendes
Ich liebe dich, Staffel
.
    »Ischbinaufeinmalssssomüdeganzkomisch!«
    Und dann fiel Charlotte um. Einfach so, ohne vorher zu sagen: »Ischfalljetztmalum.«
    Ich war geschockt. Unsere Eltern auch. »
Charlotte!«
, schrien wir im Chor. Aber meine Schwester antwortete nicht. Und es kam noch schlimmer: Eine unheimliche Ruhe war plötzlich eingekehrt. Keines der Kinder sagte ein Wort. Ich schaute verzweifelt in die Runde. Was war hier los? Einige grinsten mich debil an, andere versuchten, ihre Tassen zu essen, wieder andere griffen mit der bloßen Hand in brennende Kerzen. Und der kleine Tim, der immer so verängstigt war, im Kindergarten nie Anschluss fand und ein wenig als Außenseiter galt – was vielleicht daran lag, dass seine Eltern ursprünglich aus Bayern kamen und er immer Knickerbocker mit einem künstlichen Edelweiß und lange grüne Strümpfe tragen musste, manchmal auch einen Hut mit Gamsbart, wie zum Beispiel an diesem Tag –, sprang mit einem Mal auf und sang brüllend: »Hej sähr piepel, eim Bohbby Braun, sej säy eim se kjutest boy in taun!« Trotz kindlicher Intonation erkannte man das Frank-Zappa-Lied recht deutlich. Ein Song übrigens, der – in diesem Jahr rausgekommen – als sehr sexistisch galt und von Eltern und Lehrern unter allen Umständen verboten wurde. Ich glaube, er durfte auch eine Zeitlang nicht im Radio gespielt werden. Aber Tim war ja noch nicht in der Schule. Woher er das Lied wohl kannte? Und seine Eltern – Spießer hoch zehn – hatten es ihm bestimmt nicht beigebracht. Die hörten immer nur Stücke von James Last oder Marianne Rosenberg und so Stücke, in denen Refrains wie »Schuwabbschuwabb« oder »Schalalalala« vorkamen. Oder? Ich sollte keine Zeit haben, mir darüber Gedanken zu machen – denn wie in Zeitlupe fiel nun ein Kind nach dem anderen einfach so um. Sie sackten vom Stuhl oder ließen ihre Köpfe kraftlos in die Kuchenteller fallen. Es war eine bizarre Situation. Und ich wusste nicht, was ich tun sollte.
    In dem Moment, als mein Vater über Charlotte kniete und ihren Atem überprüfte, stand meine Oma keuchend auf, hielt sich an der Stuhllehne fest und fing an, schrill zu lachen. So hatte ich sie noch nie lachen gehört. Sie deutete auf die ganzen Kinder, die am Boden teilweise wie Käfer auf dem Rücken lagen, und lachte immer lauter. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Dann hörte sie plötzlich auf, stellte sich gerade hin, deutete auf meine Mutter, die mit entsetztem Gesicht und verwirrtem Blick hilflos dastand, und rief: »Dein Vater war nicht dein richtiger Vater, Kind! Während Horst im Krieg war, hatte ich ein Verhältnis mit Fridolin Schnuckel, dem Mann von Renate. Der hat dir immer Süßigkeiten geschenkt, weissunoch? Dein Vater hat bis zu seinem Tod nichts geahnt, aber Fridolin Schnuckel wusste immer, dass er dein Vater ist. Du solltest ihn besuchen!«
    Davon mal ganz abgesehen, dass das der denkbar unpassendste Zeitpunkt für das Fridolin-Schnuckel-Geständnis war, fand ich die Vorstellung, dass mein richtiger Großvater mit Nachnamen Schnuckel hieß, extrem peinlich. Aber das klärte ich wohl besser später.
    Meine Mutter sah Oma an und wurde noch blasser. »Fridolin Schnuckel? Der hatte doch rote Haare.«
    »Jetzt nicht mehr!« Oma kicherte wie eine aufgeregte Zwanzigjährige, die zu ihrem ersten Charlestontanz aufgefordert wurde. »Mittlerweile hat er eine Glatze.« Und dann fiel auch sie einfach um. Damit war sie ja in guter Gesellschaft.
    »Um Himmels willen!«, kreischte meine Mutter aufgelöst. »Was ist hier nur los? Wir müssen die Polizei rufen!« Was sollte die denn hier? Die würde auch nur feststellen, dass Kinder nach einer kleinen Weihnachtsfeier gruppendynamisch beschlossen haben, ein kleines Schläfchen zu machen.
    Mein Vater richtete sich auf. Er war sehr ernst. »Charlotte ist betrunken. Und zwar sturzbetrunken, wenn ihr mich fragt. Sie stinkt so, als hätte sie ein ganzes Rumfass leer getrunken.«
    Rum getrunken?
    Rum getrunken …
    Rum getrunken!
    »
Wie ist denn das möglich? Es gab doch gar keine Eierlikörtorte!« Meine Mutter war panisch.
    »Dann würde sie ja auch nach Eierlikör stinken und nicht nach Rum.«
    Charlotte lächelte im Schlaf. Es schien ihr gut zu gehen. Mir nicht. Was sollte ich denn jetzt machen? Was?
    »Stephanie«, mein Vater wandte sich zu mir und sah mich drohend an. »Was hast du getan?«
    »Ich … nichts … ich … ich …« Betroffen schaute ich auf das
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