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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Buendías verheiratete Tante Ursulas hatte einen Sohn, der sein ganzes Leben in weiten, schlenkernden Hosen umherging und an Ausblutung starb, nachdem er zweiundvierzig Jahre in keuschester Jungfräulichkeit gelebt hatte, da er mit einem knorpeligen Korkzieherschwanz mit Pinselende geboren worden und herangewachsen war. Mit einem Schweineschwanz, mit dem er sich nie vor einer Frau sehen ließ und der ihn das Leben kostete, als ein befreundeter Schlachter ihm den Gefallen tat, das Schwanzende mit einem Hackmesser zu entfernen. Mit der Leichtfertigkeit seiner neunzehn Jahre tat José Arcadio Buendía das Problem indes mit einem einzigen Satz ab: »Es macht mir nichts aus, Ferkel zu bekommen, solange sie sprechen können.« Und so feierten sie mit Musik und Feuerwerk das Hochzeitsfest, das drei Tage dauerte. Sie wären auch vom ersten Tag an glücklich gewesen, hätte Ursulas Mutter sie nicht mit allen Arten von düsteren Voraussagen über ihre Nachkommenschaft geängstigt, mit dem Erfolg, daß die Neuvermählte sich weigerte, die Ehe zu vollziehen. Aus Furcht, der feiste, begehrliche Ehemann möchte sie im Schlaf vergewaltigen, zog Ursula vor dem Schlafengehen ein Paar derbe Hosen an, die ihre Mutter aus Segelzeug geschneidert sowie mit verschränkten Riemen verstärkt hatte und die vorne mit einer robusten Eisenschnalle verschlossen wurden. So lebten sie mehrere Monate. Tagsüber züchtete er seine Kampfhähne, und sie machte Rahmenstickereien mit ihrer Mutter. Nachts kämpften sie mehrere Stunden heftig, begehrlich, und das war schon fast ein Ersatz für den Liebesakt, bis das ahnungsvolle Volk Ungewöhnliches witterte wegen der Impotenz des Mannes und das Gerücht verbreitete, Ursula sei noch ein Jahr nach der Hochzeit Jungfrau. José Arcadio Buendía war der letzte, dem das Gerücht zu Ohren kam.
    »Siehst du, Ursula, was die Leute sagen?« sagte er seelenruhig zu seiner Frau.
    »Laß sie reden«, antwortete sie. »Wir wissen, daß es nicht stimmt.«
    So ging es die nächsten sechs Monate weiter bis zu jenem tragischen Sonntag, an dem José Arcadio Buendía gegen Prudencio Aguilar einen Hahnenkampf gewann. Wütend und durch das Blut seines Tieres gereizt, trat der Verlierer ein paar Schritte von José Arcadio Buendía zurück, damit die ganze Arena hören konnte, was er zu sagen hatte.
    »Meinen Glückwunsch!« schrie er. »Wollen mal sehen, ob dieser Hahn endlich deine Frau befriedigt.«
    Seelenruhig nahm José Arcadio Buendía seinen Hahn an sich. »Ich komme gleich wieder«, sagte er zu allen gewandt. Und dann zu Prudencio Aguilar:
    »Und du geh nach Hause und bewaffne dich, denn ich werde dich töten.«
    Zehn Minuten später kehrte er mit dem mordgierigen Langspieß seines Großvaters wieder. Am Tor des Kampfplatzes, wo das halbe Dorf zusammengelaufen war, erwartete ihn Prudencio Aguilar. Dieser fand keine Zeit, sich zu verteidigen. José Arcadio Buendías Spieß, mit Stierkraft geworfen und mit der gleichen Zielsicherheit, mit der der erste Aureliano Buendía die Tiger des Gebiets ausgerottet hatte, durchbohrte seine Kehle. In jener Nacht, während man in der Hahnenkampfarena bei der Leiche Totenwache hielt, betrat José Arcadio Buendía das Schlafzimmer, als seine Frau ihre Keuschheitshose anzog. Den Langspieß vor ihr schwingend, befahl er: »Zieh das aus!« Ursula zweifelte nicht am Entschluß ihres Mannes. »Du trägst die Verantwortung für alle Folgen«, murmelte sie. José Arcadio Buendía rammte den Spieß in den Erdboden.
    »Wenn du Leguane gebärst, werden wir Leguane aufziehen«, sagte er. »Aber deinetwegen soll es keine Toten mehr geben im Dorf.«
    Es war eine schöne kühle Mondnacht im Juni, und ausgelassen blieben sie bis zum Tagesanbruch wach im Bett liegen, unbekümmert um den Wind, der das Wehklagen von Prudencio Aguilars Verwandten durchs Schlafzimmer wehte.
    Die Angelegenheit wurde als Ehrenduell angesehen, und doch blieb Unbehagen in beider Gewissen zurück. Eines Nachts, als Ursula nicht schlafen konnte, ging sie in den Patio zum Wassertrinken und sah Prudencio Aguilar am Wasserkrug. Er war aschfahl, trug einen todtraurigen Gesichtsausdruck zur Schau und versuchte mit einem Bausch Espartogras das Loch in seiner Kehle zu verstopfen. Er erregte keine Angst in ihr, nur Mitleid. Sie ging ins Zimmer zurück und erzählte ihrem Mann das Gesehene, doch der machte sich nichts daraus. »Die Toten kehren nicht zurück«, sagte er. »Wir halten nur die Gewissenslast nicht aus.« Zwei Nächte danach
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