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Hundeleben

Titel: Hundeleben
Autoren: Wolfgang Zander
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sie sich ausfragen lassen. Tatsächlich war es genau umgekehrt gelaufen.
    Die Sirenen kamen näher. Das war nicht ungewöhnlich. Täglich jagten Polizei- und Krankenwagen mehrfach durch die Ebert-Straße. Ich konnte ja so tun, als ob …
    »Hören Sie, Frau Keller. Ich habe die Alarmanlage in Gang gesetzt! In zwei Minuten sind die grünen Kollegen hier. Dann gehts Ihnen an den Kragen.«
    »Schlecht für Sie!«
    Sie schob mir die 22er wieder in den Mund. Ich würgte. Der Lauf der Waffe schmeckte nach Öl, Metall und vor allem nach Tod.
    Die Sirenen kamen näher. Gleich würden die Wagen vorbeirauschen. Ende der Illusion.
    Sylvia hatte sich aufgerichtet und lauschte ebenfalls. Dann warf sie einen Blick aus dem Fenster. Was sie sah, schien sie zu beeindrucken.
    »Woos ischt ?«, versuchte ich zu fragen.
    »Was?« Sylvia wirkte geistesabwesend.
    Ich zog den Mund vom Lauf der Waffe.
    »Was sehen Sie?«
    »Es brennt!«
    »Es brennt?«
    »Es brennt.«
    Die Sirenen waren jetzt ganz nah. Und sie blieben nah. Das war gut. Jedenfalls für den Augenblick. Jetzt kam es auf mich und mein psychologisches Geschick an.
    »Hören Sie, Sylvia!«
    Sie hörte nicht.
    »Verdammter Mistkerl«, sagte sie. »Haben Sie das Kino schon wieder angesteckt?«
    »Nein. Wieso sollte ich? Ich habe ganz andere Hobbys.«
    »Es brennt!«
    »Das Kino? Wir müssen hier raus!«
    »Wir? Ich muss hier raus! Zum letzten Mal. Wo ist das Geld?«
    Ich zuckte nur mit den Schultern. Dann sagte ich:
    »Das Hinterhaus ist eine Falle. Es geht ums Überleben. Wie können Sie da an Geld denken? Ist Ihnen dieses bedruckte Papier wirklich so wichtig? Was nützt Ihnen das Geld, wenn Sie tot sind?«
    Sie blieb unbeeindruckt. Hannibals Anwesenheit fiel mir wieder ein.
    »Hannibal, hilf mir!«, schrie ich. »Hannibal.«
    Hannibal reagierte nicht. Dafür reagierte Sylvia. Sie packte die 22er am Lauf und schlug zu.

45
    Es gelang mir, mich aus der Dunkelheit zu befreien. Ich machte die Augen auf. Zumindest unternahm ich den Versuch. Mit dem rechten Auge ging alles gut. Das linke ließ sich nicht öffnen. Ich nahm die rechte Hand zu Hilfe und wischte am linken Auge herum. Die Sicht wurde besser. Ich sah mir die Hand an. Blut!
    Ich befand mich noch immer in meinem Wohnbüro. Draußen heulten die Sirenen. Mein Kopf heulte mit.
    »Miststück«, hörte ich mich reden. »Wenn ich dich kriege, dann …«
    Ich ließ offen, was ich mit ihr zu tun gedachte. Neben mir vernahm ich ein Winseln.
    »Hannibal. He. Was machst du noch hier? Bring dich in Sicherheit. Blöder Hund.«
    Hannibal bellte. Es klang fast heiter. War er froh, dass ich noch am Leben war? Hatte er bereits um mich getrauert? Kaum. Oder doch? Bei Tieren weiß man nie. Die meisten von ihnen sind unberechenbar. Allerdings trifft das auch auf die meisten Menschen zu.
    Schluss, ich hatte jetzt keine Zeit für fruchtlose Erörterungen, ich musste handeln. Sofort. Es ging um nichts Geringeres als um zwei Leben. Ein Hunde- und ein Menschenleben. Ich schob mich aus dem Bett und stellte mich auf meine wackligen Beine. Sie trugen mich. Gerade so. Ich schlurfte in das Zimmer hinüber, wo der Schreibtisch stand. Die Luft wurde mit jedem Schritt schlechter. Ich trat ans Fenster und schaute nach unten. Rauch, Flammen. Das reinste Inferno.
    »Verdammter Dante!«, krächzte ich, öffnete das Fenster und versuchte es mit einem Hilfeschrei. Es wurde wieder nur ein Krächzen. Ich machte das Fenster zu und wankte Richtung Treppe.
    »Los Hannibal, hol Hilfe«, flüsterte ich. Hannibal blieb. Kannte er keinen Selbsterhaltungstrieb? Was hatte die Züchterei aus ihm gemacht? Einen anhänglichen Schoßhund, der freudig mit seinem Herrchen in den Tod marschierte? War das der Sinn der Sache? Die Produktion unterwürfiger, willenloser Kreaturen? War Hannibal nur ein Abbild dessen, wie wir uns die Welt vorstellten, glatt, widerspruchslos, gefräßig?
    »Du nutzt mir hier überhaupt nichts. Du Hundesohn! Lauf runter. Nun mach schon!«
    Vorsichtig stieg Hannibal ein paar Stufen hinab. Na bitte, ging doch. Dann sah er sich um, als wolle er mich auffordern, ihm zu folgen.
    Ich folgte ihm. Stufe für Stufe.
    Plötzlich kam die Erinnerung. Das Geld! Ich hatte das Geld vergessen. Wenn das Feuer meine Wohnung erreichen würde … Ich musste zurück. Sofort.
    Ich stieg die Stufen wieder empor. ›Kehr um. Verlass diese Todesfalle‹, sagte etwas in mir. »Gleich. Ich muss nur noch schnell etwas Kleingeld einstecken. Für die restliche Wegstrecke«, antwortete
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