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Huff, Tanya

Huff, Tanya

Titel: Huff, Tanya
Autoren: Blood Ties 05 - Blutschuld
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spürte das Bettuch auf der Haut, er spürte die völlig
unbewegte Luft ...
    Dann plötzlich Kälte.
    Eine Kälte, die es gar nicht geben konnte.
    Henry hatte sein Schlafzimmer, das kleinste der drei in
der Wohnung, nicht an die Klimaanlage angeschlossen. Das Fenster war mit
Sperrholz vernagelt, die Ritzen zwischen den Platten sorgfältig abgedichtet.
Vor dem Fenster hingen dichte Vorhänge. Er hatte an allen vier Seiten der

Tür flexible Gummiabdichtungen angebracht, die zwar nicht
luftdicht waren, aber dennoch solche drastischen Temperaturänderungen nicht
durchlassen würden.
    Nun spürte Henry, daß er nicht allein war.
    Bei ihm im Zimmer war jemand. Jemand ohne Geruch, ohne
Puls, ohne Fleisch, ohne Blut.
    Dämonisch? Vielleicht. Henry würde nicht zum ersten Mal
einem der Herren der Hölle gegenüberstehen.
    Henry zwang seinen eher unwilligen Arm, sich zu bewegen
und schaltete die Nachttischlampe ein.
    Mit halbgeschlossenen Augen - denn selbst 40 Watt können
vorübergehend blenden, wenn man empfindliche Augen hat - erhaschte er einen
kurzen Blick auf einen jungen Mann, der am Fußende seines Bettes stand. Dann
war das schwache, durchsichtige Bild auch schon wieder verschwunden.
    „Ein Geist?" Tony warf ein Bein über die breite
Seitenlehne der grünen Ledercouch und schüttelte den Kopf. „Du machst Scherze,
oder?"
    „Falsch geraten."
    „Spitze! Ich wüßte gern, was er wohl will. Die wollen
immer etwas", fügte er an Henrys fragend gehobene rotgoldene Braue
gerichtet hinzu. „Das weiß doch nun wirklich jeder."
    „Jeder?"
    „Henry! Erzähl mir bloß nicht, du hättest in
vierhundertpaarundfünfzig Jahren nie einen Geist zu Gesicht bekommen!"
    Henry Fitzroy, unehelicher Sohn Heinrichs VIII., einstmals
Duke Richmond and Somerset, stand, eine Hand gegen die kühle Fensterscheibe
gepreßt, die andere in die Seitentasche seiner Jeans verhakt, da und erinnerte
sich an eine Nacht im ausgehenden 18. Jahrhundert. Damals hatte er mit ansehen
müssen, wie eine junge Königin völlig außer sich laut schreiend einen langen
Flur entlanggerannt kam, um ihren König abermals um die Gnade anzuflehen, die
ihr nie zuteil werden würde. Mehr als zweihundert Jahre zuvor hatte Katherine
Howard an seiner Hochzeit mit ihrer Kusine Mary teilgenommen. Zu Katherines
eigener Hochzeit war Henry nicht erschienen - ihre Heirat mit seinem Vater
hatte vier Jahre nach seinem „Tod" stattgefunden. Im Juli 1540 hatte man
Katherine zur

Königin gekrönt, im Februar des Jahres 1542, nur neunzehn
Monate später, war sie enthauptet worden.
    Sie war jung gewesen, töricht und höchstwahrscheinlich
auch des Ehebruchs schuldig, dessen man sie angeklagt hatte, aber dennoch
hatte sie es nicht verdient, daß ihr Geist nun, ewig unfrei, gezwungen war,
immer wieder den Augenblick zu durchleiden, in dem sie erkannt hatte, daß sie
würde sterben müssen.
    „Henry?"
    „Was immer er will", sagte Henry, ohne sich
umzuwenden, „ich bezweifle, daß ich es ihm werde geben können. Ich kann die
Vergangenheit nicht ändern."
    Tony schauderte. Wie eine fast sichtbare Wolke hatten sich
die Jahrhunderte um den Freund gelegt und hüllten ihn in einen Vorhang aus
Zeit und Erinnerung. „Du machst mir Angst."
    „Ja? Tut mir leid." Der ehemalige Prinz schüttelte
seine Melancholie ab, wandte sich um und zwang sich zu einem Lächeln. „Du
scheinst es eher lässig zu sehen, wenn man von einem Gespenst heimgesucht
wird."
    Tony war froh, Henry wieder bei sich zu haben. Er zuckte
die Achseln, und in dieser Bewegung war eine Spur des Straßenjungen zu
erkennen, der er einmal gewesen war. „Er hat ja auch dich heimgesucht, nicht
mich. Außerdem lebe ich jetzt mehr als zwei Jahre mit dir zusammen - und die
ganzen Verrückten, die ständig im Laden auflaufen! Ich habe mittlerweile
gelernt, das Unerwartete locker zu nehmen."
    „Hast du das?" Es gefiel Henry ganz und gar nicht,
mit den Verrückten in einen Topf geworfen zu werden, die die Videothek
heimsuchten, in der Tony angestellt war. Sein Lächeln wurde breiter, und er
zeigte Zähne. Als er hörte, wie sich der Herzschlag des jungen Mannes
beschleunigte, ging er durchs Zimmer und schlang seine elfenbeinfarbene Hand um
eine schlanke Schulter. „Ich habe also die Fähigkeit eingebüßt, dich zu
überraschen?"
    „Das habe ich nicht gesagt." Tonys Atem kam in rauhen
Stößen, als nun ein kühler Daumen an seinem Kinn entlangstrich.
    „Vielleicht nicht mit genau diesen Worten."
    „Henry?"
    „Ja?"
    Tony
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