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Hueter Der Macht

Hueter Der Macht

Titel: Hueter Der Macht
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hierher. Hier beteten Büßer um ihre Erlösung. Hier krochen Könige und Kaiser auf Händen und Knien, um Vergebung für ihre Sünden zu erbitten.
    Dies war das Herz der Christenheit, nun da Jerusalem an die Ungläubigen verloren war.
    Thomas blieb in einiger Entfernung vor dem Vorhof, der in die Basilika führte, stehen, und seine Augen füllten sich mit Tränen der Ergriffenheit. So lange schon hatte er sich gewünscht, vor diesem Heiligengrab knien zu können. Zuerst als Kind, nachdem er hatte mit ansehen müssen, wie seine geliebten Eltern einem Wiederaufflackern der großen Pest zum Opfer gefallen waren; dann in den Jahren seiner Jugend – Jahre, die er in Blasphemie und Zorn verschwendet hatte – und schließlich als erwachsener Mann, der Gewissheit darüber erlangt hatte, dass er sein Leben Gott und dem himmlischen Werk auf Erden widmen musste.
    Es war eine lange, schwierige und gefahrvolle Reise gewesen, doch nun war er endlich am Ziel. Er redete sich ein, dass die Überheblichkeit und der Ehebruch in seiner Jugend vielleicht notwendig gewesen waren, um ihn zu Gott zu führen. Die Liebe und eine Frau waren ihm zum Verhängnis geworden, und er hatte beidem vollständig abgeschworen. Dies war seine Bestimmung, die Heiligkeit Gottes, nicht die Unsicherheit und der Schrecken der Liebe. Er hatte Alice geliebt, und was hatte es ihm eingebracht? Nur bei Gott konnte er sich sicher fühlen.
    Thomas ging langsam weiter auf die Basilika zu. Am Ende der Straße führten fünfunddreißig breite Stufen zu einer marmornen Plattform vor einer unregelmäßigen Gruppe von Gebäuden hinauf: mehrere hohe Torbögen, ein Turm und große Backsteinhäuser mit Säulenbalkonen. Diese Gebäude umfingen zu beiden Seiten den von Torbögen gesäumten Eingang zu dem großen Platz, der als Vorhof des Petersdoms diente.
    Nach kurzem Zögern stieg Thomas die Stufen hinauf und überquerte die Plattform. Direkt vor ihm befanden sich die drei Torbögen, der gepflasterte Vorhof lag dahinter.
    Thomas wusste, dass er normalerweise voller Stände und Händler war, die Pilgerplaketten, Reliquien, echtes Weihwasser, Splitter vom wahren Kreuz und Fäden aus dem Gewand Christi verkauften, doch heute Nacht waren die Stände leer, ihre Segeltuchdächer flatterten einsam im Wind. Zumindest für diesen Tag hatte der Papst angeordnet, dass alle Straßenhändler und Marktschreier die Leostadt verlassen sollten.
    Nicht einmal Pilger befanden sich auf dem Hof, und Thomas freute sich darüber. Er würde den Petersdom ganz für sich haben.
    Während er auf den Eingang der Basilika zuging, betete er, dass der Papst sich in seine Privatgemächer zurückgezogen hatte.
    Thomas wollte das Grab des heiligen Petrus nicht einmal mit dem Heiligen Vater teilen.
    Sein Herz klopfte, als er das Gebäude betrat.
    Es war riesig, doch Thomas fiel sogleich seine besondere Anlage auf, da er an westliche Kirchen gewöhnt war, die die Form eines Kreuzes besaßen. Konstantin hatte der Basilika einen rechteckigen Grundriss gegeben, nach dem Vorbild des römischen Justizgebäudes. Die Ostwand, wo sich der Altar über dem Grab des Heiligen befand, war ein Halbrund, doch der Rest der Basilika bestand aus einer gewaltigen Halle mit vier Säulenreihen, die das hoch aufragende Holzdach stützten und das Innere in ein Hauptschiff mit zwei Seitenschiffen links und rechts unterteilten.
    Lange Zeit stand Thomas wie gebannt. Seine Lippen bewegten sich langsam im Gebet, doch sein Geist konnte sich nicht auf die Worte konzentrieren. Seine vor Verwunderung weit geöffneten Augen glitten über das Innere der Basilika, verweilten hin und wieder bei einer besonders farbenfrohen Kirchenfahne, einem Gitter oder auf der Statue des geliebten Heiligen.
    Schließlich blickte er zu dem Altar am Westende des Hauptschiffes hinüber. Selbst aus der Entfernung konnte er die exotisch gewundenen Säulen erkennen, die den Altar umgaben, überdacht von einem Baldachin, der von vier der Säulen getragen wurde.
    Thomas hob die Hand, bekreuzigte sich und ging dann langsam und mit äußerster Ehrfurcht durch das Mittelschiff auf den Altar zu. Einige wenige Betende befanden sich in der Basilika, die vor Seitenkapellen knieten und im flackernden Licht der Öllampen kaum zu sehen waren, doch vor dem Altar selbst war niemand.
    Tränen liefen Thomas’ Wangen hinab, und seine Hände umklammerten das kleine Kreuz, das er um den Hals trug.
    Sein ganzes Leben lang hatte er auf diesen Augenblick gewartet, und er konnte die
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