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Hueter der Erinnerung

Titel: Hueter der Erinnerung
Autoren: Lois Lowry
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sich
veränderte.
Nur für einen Augenblick. Es war mitten in der Luft passiert. Als der Apfel wieder in seiner Hand war, betrachtete er ihn
     eingehend, aber es war wieder genau derselbe Apfel wie zuvor. Unverändert. Gleich groß und mit der gleichen Form: ein schöner,
     runder Apfel. Er hatte wieder dieselbe unbestimmbare Tönung, etwa so wie seine Tunika.
    Der Apfel hatte absolut nichts Bemerkenswertes an sich. Jonas warf ihn eine Weile von einer Hand indie andere, bis er ihn schließlich wieder Asher zuwarf. Und wieder – genau als er am höchsten war und wieder nur für einen
     Augenblick – hatte er sich verändert.
    Es war genau vier Mal passiert. Jonas hatte geblinzelt und sich umgeblickt. Um seine Sehkraft zu testen, hatte er auf das
     kleine Namensschild an seiner Tunika geschielt. Er konnte seinen Namen ganz deutlich lesen. Er konnte auch Asher am anderen
     Ende des Spielfelds gut sehen. Und er hatte keine Probleme damit, den Apfel aufzufangen.
    Jonas war sehr verwundert.
    »Ash?«, rief er. »Kommt dir nichts komisch vor? Ich meine, an dem Apfel?«
    »Doch«, rief Asher mit einem fröhlichen Lachen zurück. »Er springt dauernd aus meiner Hand und fällt zu Boden!« Asher hatte
     ihn gerade wieder einmal fallen lassen.
    Von seinem Gelächter angesteckt versuchte Jonas, das beunruhigende Gefühl loszuwerden, dass
irgendetwas
passiert war. Und obwohl es verboten war, hatte er beschlossen, den Apfel mit nach Hause zu nehmen. Am Abend, bevor seine
     Eltern und Lily kamen, hatte er ihn in die Hand genommen und von allen Seiten eingehend betrachtet. Er hatte ein paar Druckstellen,
     weil Asher ihn etliche Male fallen gelassen hatte. Aber ansonsten hatte er absolut nichts Auffälliges an sich.
    Jonas hatte ihn mit der Lupe betrachtet. Er hatteihn einige Male hochgeworfen und über seinen Schreibtisch rollen lassen, um zu sehen, ob es noch einmal passierte.
    Aber es tat sich nichts. Das Einzige, was passierte, war wenig später die Durchsage über die Sprechanlage, die direkt an ihn
     gerichtet war, ohne dass sein Name genannt wurde, woraufhin Vater und Mutter vielsagend zum Schreibtisch blickten, wo der
     Apfel noch immer lag.
    Als er jetzt an seinem Schreibtisch saß und auf seine Schulaufgaben starrte, während die übrige Familie sich um den Säugling
     in seinem Körbchen kümmerte, schüttelte Jonas den Kopf, als könne er den unangenehmen Vorfall damit ungeschehen machen. Er
     zwang sich, seine Papiere zu ordnen und zu versuchen, vor dem Abendessen noch ein bisschen zu lernen. Der Säugling, Gabriel,
     bewegte sich unruhig und wimmerte leise, während Vater Lily erklärte, wie man ihn fütterte. Er öffnete den Behälter mit den
     Utensilien für die Fütterung.
    Sie verbrachten den Abend wie alle Familien in ihrer Wohnung in der Gemeinschaft: ruhig, besinnlich, eine Zeit der Erneuerung
     und Vorbereitung auf den kommenden Tag. Der einzige Unterschied zu den anderen Familien bestand darin, dass sie zusätzlich
     einen Säugling mit hellen, tiefen, wissenden Augen bei sich hatten.

4
    Jonas fuhr in gemütlichem Tempo und blickte suchend zu den Fahrradständern vor den Gebäuden, um zu sehen, ob Ashers Rad irgendwo stand. Obwohl Asher sein bester
     Freund war, verbrachte er seine Praktikumsstunden nicht oft mit ihm, weil Asher meist nur herumalberte, was jedes ernsthafte
     Arbeiten schwierig gestaltete. Doch jetzt, so kurz vor der Zwölfer-Zeremonie, die das Ende der Praktikumsstunden bedeutete,
     schien das nicht mehr wichtig.
    Die Freiheit, sich aussuchen zu dürfen, wo man diese Stunden verbrachte, war Jonas immer wie ein wunderbarer Luxus vorgekommen,
     denn alle anderen Stunden des Tages waren bis ins kleinste Detail reglementiert.
    Er dachte an die Zeit zurück, als er ein Achter gewesen war, genau wie Lily bald, und zum ersten Mal mit dieser freien Entscheidung
     konfrontiert worden war. Wenn die Achter zum ersten Mal zu ihrer Praktikumsstunde gingen, waren sie etwas nervös, kicherten
     ständig und blieben am liebsten in Gruppen zusammen. Fast ausnahmslos gingen sie zuerst zu den Spielanlagen, wo sie die Jüngeren
     in einer Umgebung betreuten, die ihnen vertraut war. Aber unter fachkundiger Anleitung gewannen sie nach einiger Zeit Sicherheit
     und Selbstvertrauen, wagten sichnach und nach auch in andere Gebiete und widmeten sich schließlich jenen Aufgaben, die ihrem Können und ihren Interessen am
     meisten entsprachen.
    Ein Elfer namens Benjamin hatte seine Praktikumsstunden fast die gesamten
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