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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy
Autoren: Stefan Schwarz
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Finger auf dem Mund um Stille bittend, Chef und noch ein paar Kollegen in heimlichtuerischer Polonaise. Ja, ich hätte mich räuspern können.
    Nergez hatte es heraus, und sie fing an, eine Miene aufzuziehen, in der ein Husch von Scham, eine klitzekleines frivoles Wohlbehagen und eine nötige Missbilligung ineinander wechselten. Die Sekretärin mit der Torte, Chef und sein Anhang zehenspitzten über den Teppichboden in den Rücken von Kruschik, der völlig gebannt in seinen Monitor starrte. Chef zwinkerte mir zu, und ich tat etwas, was ich noch nie getan hatte. Ich zwinkerte zurück. Chef machte einen Buckel und zog glücklich den Kopf zwischen die Schultern, als müsste er sich vor Überraschung gleich einpullern. Auf sein Zeichen holten alle tief Luft, um ein «Happy Birthday!» anzustimmen. Doch genau in diesem Moment patschte Kruschik mit der flachen Hand auf den Tisch und rief atemlos und erregt vor lauter Gefundenhaben zu mir und Nergez herüber: «Ich stelle mir manchmal vor, Mangosaft von deinem Rücken zu lecken!!»
    Die fürs happy H großartig gesammelte Luft entwich aus einem halben Dutzend Mäulern, und die Sekretärin blies sogar versehentlich die Kerze auf der Torte aus. Chef blickte konsterniert erst auf Kruschik, dann auf Nergez und dann auf mich. Ich tat das Einzige, was man als unschuldiger Zeuge in dieser Situation tun konnte. Ich zuckte ein «Unser Nobbi, was manchmal so in ihn fährt!» mit den Schultern. Kruschik, der erst jetzt das Geburtstags-Komitee hinter sich gewahrte, wurde weiß und dann rot, stammelte kurzatmig, zeigte fahrig herum, auf mich, auf Nergez und rief dann inwirrer Anklage: «Die reden über Sex! Nicht ich. Ich hab das nur übersetzt. Man kann es nicht verstehen, wenn sie über Sex reden. Aber sie reden über Sex! Man muss dazu wissen, wann Nergez’ Mutter geboren wurde. Wenn man weiß, wann sie geboren wurde, dann wird es total sexuell, was sie reden. Ich hab es mitgeschrieben.» Er wies hilflos triumphierend auf den Monitor. Aber die Gratulanten machten keine Miene, ihm auch nur eine Silbe davon zu glauben. Chef hatte die ganze Zeit mit offenem Mund dagestanden. Einen Moment sah es so aus, als würde ihn die Erkenntnis, willfähriges Werkzeug einer grauenhaften Intrige gegen mich, einen seiner ältesten, teuersten, profiliertesten Mitarbeiter, gewesen zu sein, schockfrosten. Doch dann entschied er sich in einer nicht geringen Kraftanstrengung gegen den Wahnsinn und für die Normalität. Eine Normalität, die alles niederwalzte, was vorher noch ungeklärt im Raum gestanden hatte. Chef nahm die Torte aus den Händen der Sekretärin und stellte sie vor dem hochroten Kruschik auf den Tisch.
    «Alles Gute zum Geburtstag, lieber Norbert Kruschik! Wir, die Redaktion und ich, wünschen dir Gesundheit.» Das war alles. Von beruflichem Erfolg war keine Rede mehr.
     
    Möglicherweise hätte ich meine Kreativität anderswo besser eingesetzt. Denn über den sporadischen und sowieso unwilligen Erwägungen, wann der beste Zeitpunkt wäre, Dorit zu sagen, dass ich mich an diesem Abend mit Nancy treffen würde, hatte ich den besten Zeitpunkt verpasst. Es war neun, und ich musste langsam mit der Sprache rausrücken. Dorit lag im Wohnzimmer auf der Couch, hielt die Fernbedienung neben sich in der Hand und drückte in kurzen Takten den Kanalwechsler.Wir hatten seit der Sache mit der Nippelquaste nicht mehr viel miteinander gesprochen. Dorit hatte an jenem Tag nur mein Bettzeug vom Doppelbett in die Truhe im Wohnzimmer gebracht, weil sie offenbar zu der Ansicht gelangt war, dass mein Bettzeug nicht mal mehr tagsüber das Recht habe, neben ihrem zu liegen. Ich hatte ihr gesagt, dass ich das albern fände, und Dorit hatte geantwortet, albern wären ganz andere Sachen.
    Ich ging zum Flurschrank, ertappte mich dabei, dass ich zwei Jacken als unpassend zurückhängte, nahm die dritte, die selbstverständlich eine Lederjacke war, steckte Zigarettengeld ein, weil ich das sichere Gefühl hatte, heute Abend seit Jahren wieder rauchen zu wollen, und ging zu Dorit.
    Ich betrat das Wohnzimmer und sagte, dass ich mich um dreiundzwanzig Uhr mit Nancy treffen würde. Sie würde tanzen, und ich wolle mir das ansehen. Es war alles wahr und lauter, und trotzdem klang es wie der völlige moralische Bankrott eines Mannes von ehemals Ansehen und Statur. Dorit sah nicht auf und zappte so rasend durch das Fernsehprogramm, dass Erdmännchen vor Autoverfolgungsjagden in ihren Löchern verschwanden, Wrestler ihre
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