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House of God

House of God

Titel: House of God
Autoren: Samuel Shem
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an?« sagte Chuck, glitt auf den nächststehenden Stuhl, sackte zusammen und bedeckte die Augen mit einer matten Hand. Mit einstudierter Geste knöpfte er seinen Mantel auf und warf sein Stethoskop auf den Tisch. Es war kaputt. Er sah es an und sagte: »Oh, hab wohl mein ›skop kaputtgemacht. Harter Tag.«
    »Du siehst aus wie ein Straßengangster,« sagte ein BMS . »Genau, Mann. In Chicago, wo ich herkomm’, gibt’s nur zwei Typen, die Klauer und die Beklauten. Mann, du wirst automatisch beklaut, wenn du nich’ wie ’n Klauer aussiehst. Kapiert?«
    »Laßt gut sein«, sagte der Dicke. »Hören Sie zu. Ich war für heute eigentlich nicht als Ihr
Resident
vorgesehen. Eine Frau namens Jo sollte es sein, aber ihr Vater ist gestern von einer Brücke gesprungen und ist tot. Das
House
hat unsere Dienstpläne getauscht, und so bin ich jetzt für die nächsten drei Wochen Ihr
Resident.
Nach allem, was ich im letzten Jahr als
Inlern
angestellt habe, wollte man mir eigentlich die neuen
Interns
nicht ausliefern, aber sie hatten keine Wahl. Und warum wollten sie nicht, daß Sie an Ihrem ersten Tag als Ärzte ausgerechnet auf mich stoßen? Weil ich alles sage, wie es ist – keine Quatschologie. Der Fisch und der Leggo wollen nicht, daß Sie zu schnell entmutigt werden. Und sie haben recht. Wenn Sie jetzt schon genauso deprimiert beginnen, wie Sie im Februar sein werden, springen Sie im Februar von einer Brücke, genau wie der Paps von Jo. Der Fisch und der Leggo wollen, daß Sie sich Ihre Illusionen erhalten, damit Sie nicht in Panik geraten. Ich weiß genau, wieviel Angst Sie drei heute haben.«
    Ich liebte ihn. Er war der erste, der zugab, daß er unsere Angst kannte.
    »Weswegen muß man denn deprimiert sein?« fragte Potts.
    »Die Gomers«, sagte der Dicke.
    »Was ist ein Gomer?«
    Von draußen kam ein anhaltender, schriller Schrei: »Geh weg geh weg geh weg …«
    »Wer hat heute Dienst? Ihr drei
Interns
wechselt euch ab, und Sie nehmen nur Patienten auf, wenn Sie Dienst haben. Wer ist heute dran?«
    »Ich«, sagte Potts.
    »Gut. Dieses gräßliche Geschrei kommt von einem Gomer. Wenn ich mich nicht irre, von einer gewissen Ina Goober, die ich letztes Jahr sechsmal aufgenommen habe. Gomer ist ein Akronym: Get Out of My Emergency Room – raus aus meiner Notaufnahme. Das möchten Sie nämlich sagen, wenn Ihnen um 3  Uhr nachts so einer aus dem Pflegeheim hergeschickt wird.«
    »Ich finde das ziemlich hart«, sagte Potts. »Nicht jeder denkt so über alte Leute.«
    »Glauben Sie vielleicht, ich hätte keine Großmutter?« fragte der Dicke ärgerlich. »Ich habe eine, und sie ist eine nette, freundliche, wundervolle alte Dame. Ihre Matze-Klöße sind so leicht, sie schweben richtig. Man muß sie festnageln, um sie essen zu können. Durch ihre Leichtigkeit schwebt sogar die Suppe. Wir pflegen auf Leitern zu essen und kratzen das Essen von der Decke. Ich liebe …« Der Dicke mußte innehalten und sich Tränen aus den Augen wischen. Dann fuhr er leise fort: »Ich liebe sie sehr.«
    Ich dachte an meinen Großvater. Ich liebte ihn auch.
    »Aber Gomers sind keine netten, alten Leute,« sagte der Dicke.
    »Gomers sind Wesen, die das verloren haben, was ein menschliches Wesen ausmacht. Sie wollen sterben, und wir lassen sie nicht sterben. Wir sind grausam zu den Gomers, und sie sind grausam zu uns, indem sie mit Zähnen und Klauen gegen unsere Versuche ankämpfen, sie zu retten. Sie quälen uns, wir quälen sie.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Potts.
    »Wenn Sie Ina gesehen haben, werden Sie es verstehen. Hören Sie zu, ich habe zwar gesagt, ich sehe mir keine Patienten an, aber ich bin hier, wenn Sie mich brauchen. Wenn Sie klug sind, machen Sie Gebrauch von mir. Denken Sie an diese aufgedonnerten Jets, die die Gomers nach Miami bringen: Ich bin der Dicke, fliegen Sie mit mir. So, und jetzt lassen Sie uns Karten legen.«
    Die Effizienz der Welt des Dicken beruhte auf dem Konzept der DIN -A 5 -Karteikarte. Er liebte DIN -A 5 -Karten. Mit den Worten, »es gibt kein menschliches Wesen, dessen medizinische Daten nicht auf einer DIN -A 5 -Karte aufgelistet werden könnten«, legte er zwei dicke Stapel auf den Tisch. Der eine war für ihn, den anderen, die Duplikate, teilte er in drei gleiche Teile und händigte jedem von uns neuen
Interns
einen aus. Auf jeder Karte standen die Daten eines Patienten, unseres Patienten, meines Patienten. Der Dicke erklärte uns, wie er bei seinen Visiten die Karten aufdeckte und von dem
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