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Hotel van Gogh

Hotel van Gogh

Titel: Hotel van Gogh
Autoren: J.R. Bechtle
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erledigen könnte!
    Sie hat das Notwendigste im Handgepäck dabei, falls sich die Angelegenheit aus irgendeinem Grund hinauszögern sollte, und sie doch eine Nacht in Auvers-sur-Oise verbringen müsste. Ihr Feriengepäck nimmt Peter im Auto nach Sylt mit.
    Dass van Gogh sich bei Paris umgebracht hatte, war für sie neu. Natürlich wusste sie von seinem Selbstmord, und auch, dass ihm zu seinen Lebzeiten der Erfolg als Maler versagt geblieben war.
    Zuletzt war sie vor drei Jahren in Paris gewesen, zu einer Konferenz über neueste Entwicklungen im europäischen Kartellrecht. Bei ihrem Onkel hat sie sich nicht gemeldet, sie wusste ja nicht einmal, wo er wohnte, und hatte auch keine Telefonnummer von ihm. Ehrlich gesagt wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, bei ihm anzurufen.
    Am Flughafen nimmt sie sich einen Mietwagen, die Identifizierung eines Toten kann nicht lange dauern. Als sie dann Auvers auf einer Karte findet, schätzt sie die Entfernung auf höchstens eine halbe Stunde, sie hätte leicht ein Taxi nehmen können, aber nun hat sie das Auto.
    Schon etwas seltsam, so eben nur für ein paar Stunden nach Frankreich. Sie betrachtet sich im Rückspiegel. Ihr erhitztes Gesicht glänzt in der Sonne, als sie mit gespreizter Hand durch ihr rostbraunes Haar streicht. Sie hat sich bewusst elegant und neutral gekleidet, ein leichter hellbeiger Hosenanzug, eine weiße Bluse und ein rosa Halstuch, das sie, sollte es unpassend wirken, unauffällig abstreifen kann. Wie für die Kanzlei, es handelt sich im Grunde auch um eine anwaltliche Angelegenheit.
    Die Landstraße führt vom Flughafen Richtung Auvers mitten durch eine beschauliche Landschaft an der Oise entlang. Bei der Ortseinfahrt stößt Sabine auf mehrere Polizeitransporter, die Beamten in schwarzer Sturmuniform. Langsam fährt sie in Richtung Ortsmitte weiter. Die Durchfahrtsstraße windet sich zu dem Platz vor dem ländlich idyllischen Rathaus, genau wie es ihr der Gendarm am Telefon beschrieben hatte. Ein Jeep rast mit hoher Geschwindigkeit an ihr vorbei. Um den Rathausplatz stehen Übertragungswagen verschiedener Fernsehsender, deren Antennen über die Platanen und die umliegenden Häuser ragen. Hatte ihr Onkel es doch in Frankreich zum Erfolg gebracht, und nun ist der Selbstmord des Dichters im Sterbezimmer van Goghs die Pressesensation?
    Auf der im Vergleich zum Rathaus unscheinbaren Polizeistation tritt ihr ein Polizist entgegen: »Entschuldigen Sie, Madame, Sie sind von der Presse? Für alle Informationen ist das Innenministerium in Paris zuständig, Sie müssen sich dorthinwenden.«
    »Ich habe einen Termin mit Monsieur Crosnier.«
    Crosnier empfängt sie achselzuckend in seinem Büro: »Man ist nicht mehr Herr im eigenen Haus. Seit heute Morgen herrscht hier der Ausnahmezustand, unser Ort wird von der Elitepolizei aus der Hauptstadt und von Geheimdienstagenten und Beamten des Innenministeriums belagert. Eine Großrazzia gegen eine angebliche muslimische Terrorzelle, es geht zu wie im Krieg. Über hundert Iraner aus Auvers, die seit Jahren friedlich und ohne Probleme bei uns leben, sind jetzt in Paris in Untersuchungshaft. Ohne jede Rechtfertigung, das sage ich Ihnen gleich.«
    Crosnier muss Luft holen. Er ist untersetzt und übergewichtig, hat schwarzes lockiges Haar und einen gestutzten Schnurrbart. Seine kräftige Nase sticht aus dem vernarbten Gesicht. Schweißtropfen haben sich auf der Stirne gebildet, es ist warm in seinem biederen Büro, und der Trubel setzt ihm offensichtlich zu. Er blickt Sabine wie um Hilfe suchend an.
    »Und dann dieser Selbstmord im Van-Gogh-Haus, unserer wichtigsten Touristenattraktion! Madame Bucher, es tut mir leid, dass ich Sie wegen dieser Angelegenheit nach Auvers bitten musste. Aber Sie sind unser einziger Kontakt. Womit wollen Sie beginnen?«
    »Ich soll doch meinen Onkel identifizieren! Gibt es sonst noch etwas?«
    »Seine Sachen müssen in dem Gasthaus, in dem er übernachtet hat, abgeholt werden. Ein schönes Gasthaus, sehr zu empfehlen. Darüber hinaus hat Auvers-sur-Oise einiges zu bieten, Besucher aus aller Welt strömen hierher, auf den Spuren van Goghs.«
    Sie gehen zu Fuß den kurzen Weg zu der gegenüber vom Rathaus gelegenen Auberge Ravoux. Der Polizist erzählt ihr, nicht ohne Stolz, dass die Auberge ursprünglich von Auguste Crosnier, einem seiner Vorfahren, gebaut worden war. Die Crosniers seien seit Generationen in Auvers-sur-Oise ansässig und hätten immer wichtige Posten im Ort eingenommen, so wie er
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