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Horror Factory - Pakt mit dem Tod

Horror Factory - Pakt mit dem Tod

Titel: Horror Factory - Pakt mit dem Tod
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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eben ein sehr gläubiger Mann und vertrat die Auffassung, dass es allein in Gottes Macht liegen sollte, über das Wohl der Menschen zu entscheiden, und diejenigen, die krank wurden, es auf die eine oder andere Weise wohl auch verdient hatten. Doch dadurch ließ sich Estan weder von seinen halbjährlichen Besuchen abhalten noch davon, die ganze Familie ebenso freundlich wie nachdrücklich in Augenschein zu nehmen. Unterstützung fand er dabei bei Hermans Mutter, die sich in diesem einen Punkt (und nur in diesem) selbst gegen ihren Mann durchgesetzt hatte.
    Herman erinnerte sich an ihn als einen sanftmütigen und immer zu einem kleinen Scherz aufgelegten alten Mann, der ihn zwar manchmal abtastete und an Stellen berührte, an denen er es nicht mochte, und manchmal auch alberne Dinge von ihm verlangte – wie zum Beispiel auf einem Bein zu stehen oder ihm die Zunge herauszustrecken –, in dessen beeindruckendem braunem Lederkoffer aber auch immer eine Zuckerstange oder eine andere Leckerei als Belohnung warteten.
    Aber wenn er wirklich ein so guter Mensch war, wieso stand dann der Tod hinter seinem Tisch – und nicht nur der? Nachdem es ihm einmal gelungen war, seinen Blick vom schrecklichen Totenkopfgrinsen des Skeletts loszureißen, gewahrte er noch viel mehr und noch ungleich erschreckendere Dinge.
    Auf einem Schrank gleich neben dem Schreibtisch, hinter dem Estan wohl normalerweise saß und sich die Klagen und Beschwerden seiner Patienten anhörte, stand eine Reihe großer Gläser, die mit einer leicht gelblichen Flüssigkeit gefüllt waren, in der ... Dinge schwammen. Manche erinnerten ihn an die inneren Organe der Tiere, die sein Vater manchmal von der Jagd mitbrachte und die sie dann zusammen ausnahmen, nur dass sie die falsche Größe hatten oder eben doch nicht ganz die richtige Form oder Farbe, andere waren einfach so grässlich, dass er es nicht über sich brachte, sie mit mehr als einem flüchtigen Blick zu betrachten, und in einem meinte er sogar ein Paar menschlicher Augen zu erkennen, die stumm und vorwurfsvoll aus ihrem gläsernen Gefängnis auf ihn herabstarrten, wagte es aber noch viel weniger, genauer hinzusehen und sich zu überzeugen.
    Und nicht einmal damit hatte der Schrecken ein Ende. Von dem Entsetzlichen, das sich ihm offenbarte, ebenso abgestoßen wie fasziniert, trat Herman näher an den Schrank heran und war nicht einmal mehr überrascht, hinter den gläsernen Türen ein wahres Sammelsurium der grässlichsten Folterinstrumente zu entdecken: scharfe Messer in allen nur erdenklichen Größen und Formen, Zangen, Sägen und noch viel bizarrere Gerätschaften, deren Sinn ihm verborgen blieb, auch wenn er zweifellos schrecklich sein musste. Es gab Fläschchen und Tiegel mit kleinen, sorgsam beschrifteten Etiketten, und eine Unzahl langer, dünner Nadeln, bei deren bloßem Anblick es ihm schon kalt über den Rücken lief.
    Am allerschlimmsten vielleicht aber war das Bild, das hinter dem Tisch an der Wand hing – gewiss nicht durch Zufall so platziert, dass jeder Besucher es einfach sehen musste, ganz gleich, wie er auch Platz nahm. Es zeigte einen geschlechtslosen nackten Menschen, dessen linke Seite ganz normal schien, während die rechte in verschiedenen Schichten gehäutet war, sodass man die Muskeln, das Fleisch und die inneren Organe und selbst die Knochen unter der Haut sehen konnte, und das so detailliert und naturgetreu, dass es vermutlich niemand sehen wollte.
    Herman stand lange da und starrte das unheimliche Bild an, und es gelang ihm einfach nicht, die Mischung aus schrecklicher Faszination und purem Grauen abzuschütteln, mit der ihn der Anblick erfüllte. Dieses Bild sollte ihn nicht so erschrecken, denn auch daran war nicht viel, was ihm fremd gewesen wäre. Zwar hatte er noch nie einen toten Menschen gesehen, aber so groß war der Unterschied zu einem gehäuteten Stück Wild eigentlich gar nicht, und davon hatte schon mehr als eines in ihrer Scheune gehangen und darauf gewartet, ausgenommen und zerlegt zu werden.
    Aber Menschen sollten nicht so dargestellt werden, denn diese Art der Zurschaustellung nahm ihnen zugleich auch ihre Menschlichkeit.
    Und dennoch. An diesem Bild, genau wie an dem ausgestellten Skelett und dem grässlichen Inhalt der Gläser, war etwas, das ihn zugleich auch faszinierte, eine geheime Botschaft in einer Sprache, die er niemals gelernt hatte, und aus einer Zeit, in der er noch gar nicht gelebt hatte. Da war etwas, das getan werden musste, ein Versprechen,
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