Honecker privat
BRD-Politik strich.
Wenn Bürger der DDR, Politbüromitglieder inklusive, in ein westliches Land reisen wollten, hatten sie dies im in Westberlin ansässigen Allied Travel Board zu beantragen. Die von den Westmächten eingerichtete Institution war nicht nur Ausdruck der Ignoranz, sondern auch zur Demütigung der Ostdeutschen gedacht. Ihnen sollte bewusst gemacht werden, dass ihr Staat keiner war. Die vorläufigen Reisedokumente »anstelle eines Passes für deutsche Staatsangehörige«, die ihnen ausgestellt (oder verweigert) wurden, boten zudem die Möglichkeit der Kontrolle und Steuerung der Reisetätigkeit von DDR-Kadern. DDR-Servicepersonal, das etwa zur Wartung von exportierten Werkzeugmaschinen unterwegs war, konnte man wochenlang auf die Papiere warten lassen, so dass irgendwann der genervte Kunde im Ausland es vorzog, diese Maschinen künftig woanders zu kaufen.
Das Allied Travel Board war bis zu seiner Schließung zu Beginn der 70er Jahre also ein sehr wirksames Instrument im Kalten Krieg. Es sollte, wie schon der Spiegel 43/1960 offenherzig verriet, »die Sowjetzone an einem höchst empfindlichen Punkt treffen. Seit Jahren nämlich bemühen sich die Außenpolitiker der DDR« darum, beispielsweise über Handelsvertretungen diplomatische Beziehungen anzubahnen. Und genau das sollte auf eben diese Weise verhindert werden.
So hielt sich denn die politische Reisetätigkeit in der ersten Hälfte der Existenz der DDR in sehr engen Grenzen. Meine erste »Dienstfahrt« ging darum nur bis Oberwiesenthal, wo Walter Ulbricht und seine Frau Lotte vom 20. Dezember 1962 bis zum 3. Januar 1963 Urlaub machten. Da ich unverheiratet war, meinte man, mich über die Feiertage in den Süden der DDR abkommandieren zu können.
Ulbricht, das ist bekannt, war auch im vorgerückten Alter noch immer sportlich aktiv, und er wollte auch seine Mitstreiter bewegen, sich zu bewegen, was aber nicht unbedingt auf deren Zustimmung stieß. Nicht minder ablehnend reagierten diese auf die Bemühungen des Chefs, Gemeinschaftserlebnisse zu organisieren, um das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Aber Honecker, Apel, Grüneberg, Mittag und die anderen besaßen nicht den Mut, Ulbrichts »Einladung« abzulehnen und kamen ihr darum, wenngleich zähneknirschend, nach. WU machte ein Programm, das für alle verbindlich war. Es reichte vom gemeinsamen Essen bis hin zu kollektiven Ausflügen. Ich verstand, dass für manchen solche Pflichtveranstaltungen kaum erholsam waren. Die Menschen sind nun mal verschieden, und jeder entspannt sich auf andere, individuelle Weise. Ulbricht jedoch kam aus einer anderen Generation. In der frühen Arbeiterbewegung gehörten Gemeinschaftserlebnisse zur politischen Grundausstattung, sie prägten die Genossen und schmiedeten ihre Kampfgemeinschaft. Das wollte er irgendwie fortsetzen und weitergeben, doch die Jüngeren folgten ihm darin und in manch anderem nicht.
Für Walter Ulbricht waren solche Gemeinsamkeiten wichtig, sie durften nicht unterbrochen werden etwa durch eine Neujahrsansprache. Deshalb rückte kurz vor dem Jahreswechsel eine Truppe aus Adlershof an, um die Neujahrsansprache des Staatsratsvorsitzenden an die Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik aus dem verschneiten Erzgebirge zu übertragen. Auch dadurch entging er der Gefahr, dass eine Rede zweimal ausgestrahlt wurde – etwa wie jene Neujahrsansprache von Helmut Kohl vom 31. Dezember 1985, die nach Jahresfrist wiederholt wurde, was sehr zur Erheiterung seiner Landsleute beitrug: der Bundeskanzler als Dalai Lama mit tibetanischer Gebetsmühle …
In den beiden nachfolgenden Jahren lag in Oberwiesenthal mal Schnee und mal keiner, weshalb der Skiläufer Ulbricht veranlasste, ins schneesichere Oberhof zu ziehen. Allerdings erwies sich die Unterbringung dort als schwierig. Ulbrichts kamen im Ferienheim der Thüringer Fleischerinnung unter, wo sie ein Appartement anmieteten, die anderen Politbüromitglieder und deren Familien wurden in einem Ferienheim des Konsums einquartiert. Ich will nicht behauptet, dass sie zwangsweise dort untergebracht wurden, aber ihr Beifall über diese Lösung hielt sich, wie ich merkte, sichtlich in Grenzen. Irgendwann wurde dann entschieden, eigens für diesen Zweck in Oberhof ein neues Erholungsheim zu errichten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass namentlich Ulbricht dafür sorgte, dass Oberhof zum »Kurort der Werktätigen« wurde und nicht, wie es in den 20er Jahren hieß, das deutsche St.
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