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Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond
Autoren: Jutta Wilke
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Waffel zu.
    »Soll ich dir heute die Kartause zeigen?« Flavio ließ eine Erdbeere zu Neles Teller rollen.
    »Was?« Für einen Moment wusste Nele nicht, wovon Flavio sprach.
    »Die Kartause. Das alte Kloster, in dem mein Vater arbeitet.«
    Jan griff zur Zeitung, die auf dem Tisch lag. »Das halte ich für keine gute Idee. Dort bin ich gleich mit einem Kollegen verabredet. Vielleicht ist es besser, wenn ihr euch das Kloster ein anderes Mal anschaut.«
    Nele runzelte die Stirn. Schon wieder hatte sie das ungute Gefühl, dass ihr Vater sie loswerden wollte.
    »Warum zeigst du Nele nicht den Naschmarkt, Flavio?«, schlug Viviane vor.
    Nele wandte sich von Jan ab und nickte lächelnd. »Naschmarkt klingt toll.«
    »Seht mal!« Jan hatte die Zeitung aufgeschlagen und zeigte auf einen Artikel, neben dem ein Foto abgebildet war. »Da ist der Kollege, mit dem ich verabredet bin. Ich bin gespannt, wie weit er mit seinen Ermittlungen schon gekommen ist.«
    Flavio schnappte sich die Zeitung und verzog den Mund. »Ermittlungen nennst du das? Der schnüffelt den ganzen Tag im Kloster rum.«
    Nele beugte sich über den Tisch und betrachtete das Bild. Auf den ersten Blick sah Jans Kollege ganz normal aus. Kurze schwarze Haare, ein schmaler Bart. Auffallend waren jedoch seine Augen. Obwohl es nur eine Fotografie war, fühlte Nele eine eisige Kälte von ihnen ausgehen. Schaudernd wandte sie den Blick ab.
    »Kennst du den?«, fragte sie. Schon wieder beschlich sie das unschöne Gefühl, dass hier alle mehr wussten als sie.
    »Und ob ich den kenne.« Verächtlich schob Flavio die Zeitung wieder zu Jan. »Holzer. Doktor Holzer. Da legt er Wert drauf. Er ist mein Geschichtslehrer. Ist wohl so eine Art Hobby von ihm, neben seinem Beruf als Historiker Schüler zu quälen.« Flavio zuckte die Achseln und biss in eine Waffel.
    Jan lachte. »Daher weht also der Wind. Du bist nicht besonders gut in Geschichte?«
    »Bei Holzer ist niemand gut in Geschichte.«
    »Na, ich werde ihn mir mal anschauen.« Jan faltete die Zeitung zusammen und stand auf. »Er holt mich ja gleich ab. Ich suche schon mal meine Sachen zusammen.«
    Nele schaute Jan nach, während Viviane die Reste des Frühstücks zusammenräumte. Als Viviane mit dem Tablett außer Sichtweite war, wandte sie sich an Flavio.
    »Ist dieser Holzer wirklich so schlimm?«
    »Schlimmer.« Flavio zog eine Grimasse. »Du wirst ihn sicher gleich live erleben. Er wird es sich nicht entgehen lassen, mir persönlich einen schönen Tag zu wünschen.«
    »Das klingt so, als hätte er was gegen dich.«
    »Er hat gegen jeden was. Am besten, man macht einen großen Bogen um ihn.«
    »Ojemine.« Nele verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen.
    »Wenn man vom Teufel spricht … Guck mal, wer da kommt.« Flavio senkte seine Stimme zu einem Flüstern.
    Als Nele den Wiener Historiker an der Seite ihres Vaters mit langen Schritten durch den Garten gehen sah, fühlte sie sich sofort unbehaglich. Neben ihm wirkte Jan in seiner verwaschenen Cordhose und dem karierten Hemd wie ein kleiner Junge.
    Dr. Stephan Holzer war ein großer schlanker Mann, der offensichtlich viel Wert auf seine äußere Erscheinung legte. Über einem schwarzen Hemd trug er einen ebensodunklen Anzug, den er trotz der sommerlichen Hitze hoch geschlossen hatte. Nur seine hohe Stirn verriet sein nicht mehr ganz junges Alter.
    »Herzlich willkommen in Österreich. Du bist also die Tochter meines geschätzten Kollegen.« Dr. Holzer nahm seine Sonnenbrille ab und musterte Nele. »Ich gebe dir einen guten Rat.« Er sprach leise und langsam – gefährlich langsam. »Guck in ein gutes Buch, wenn du etwas über Österreich lernen willst. Von dem da«, Holzer wies mit dem Kopf auf Flavio, »wirst du nämlich kaum etwas über die Geschichte unseres Landes erfahren.« Flavio zuckte neben ihr zusammen. »Es ist nur schade, dass ihr schon so bald wieder abreisen werdet.«
    »Aber wir sind doch gerade erst angekommen.« Nele schaute in zwei eiskalte blaue Augen. Dann fiel ihr Blick auf die rechte Hand, die Dr. Holzer ihr entgegenstreckte. Der Ringfinger fehlte und den Nagel des kleinen Fingers zierte ein winziger Brillant. Nur zögernd erwiderte Nele den Gruß. Sie mochte Holzer nicht.

6
    »Der scheint ja richtig begeistert davon zu sein, dass ihr hierhergekommen seid.« Flavio griff nach der Zeitung, die Jan auf dem Tisch liegen gelassen hatte. Fein säuberlich trennte er das Portrait Holzers aus dem Artikel heraus.
    »Aber warum? Was hat er gegen Jan?
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