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Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Titel: Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
Autoren: Jorge González
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standen eng umschlungen auf der Tanzfläche, kokettierten und spielten miteinander – so wie sie es immer gemacht hatten, als ich klein war und sie den Ladrillito tanzten. Das war ihr letztes Silvester.
    Meine Mutter liebte meinen Vater sehr, selbst wenn sie manchmal dachte, er sei ihr Kind. Ich erinnere mich noch an den fünfundachtzigsten Geburtstag meines Vaters, den wir im Haus meiner Tante in Cabaiguán feierten. Die ganze Familie war da. Wir hörten Musik und tanzten. Und was tat mein Vater? Er kletterte auf den Tisch und fing an, dort oben zu tanzen. Während die anderen drum herum standen und klatschten, lief meine Mutter nervös um den Tisch und rief: »Pass auf, Gude, fall nicht runter.«
    Ich sagte extra laut zu ihr: »Ach, lass ihn doch, Mama. Wenn er runterfällt, bist du frei und kannst einen Hübscheren heiraten.«
    Meine Mutter lächelte ihn nur an und sagte: »Nein, nein, Er ist doch mi negro .«
    Bei diesem Geburtstagsfest war auch mein Partner dabei. Wir schauten uns nur an, und ich sagte: »Siehst du, das will ich auch.« Ich glaube, jeder will das.
    Als mein Vater das letzte Mal bei mir zu Besuch in Deutschland war, habe ich ihn gefragt: »Papa, sag mal, du hast Mama niemals betrogen?«
    »Anfangs, als wir nur befreundet waren, ja«, antwortete er, »denn da waren wir jung und durften nichts machen. Aber sobald ich deine Mutter geheiratet hatte, gab es nur noch sie – bis sie starb.« Und ich weiß, es stimmt.

Nachspiel: Auf dem Laufsteg meines Lebens
    Nach dem Tod meiner Mutter kehrte ich im September 2008 nach Deutschland zurück. Ich war sehr traurig und innerlich ganz leer. Obwohl ich schon als kleiner Junge wegwollte aus Kuba und meinen Kindheitstraum, der Freiheit bedeutete, verwirklicht habe, war ich im Kreis meiner Familie immer glücklich. Wenn ich nach Kuba reiste, explodierte ich fast wie ein Vulkan vor lauter Freude. Aber nachdem meine Mutter gestorben war, war der Magnet, der mich immer dorthin zog, plötzlich weg. Und obwohl ich den Rest meiner Familie sehr liebe, existierte dieser Mittelpunkt auf einmal nicht mehr. Kuba würde für mich nie mehr so sein wie früher.
    Deshalb wollte ich mich nach meiner Rückkehr so schnell wie möglich wieder in mein Leben und in meine Arbeit in Deutschland integrieren, auch wenn es mir ziemlich schwerfiel. Und genau an diesem Punkt aktivierten meine besten Freunde, die High Heels, meine Kräfte, als wollten sie mir sagen: Das Leben geht weiter, du musst wieder auf den Laufsteg des Lebens zurück. Und zwar zusammen mit deinen besten Freunden. Es war der Anfang als Catwalktrainer bei GNTM.
    Als ich zwei Jahre später spätnachts nach dem Finale 2010 im Bett meines Hotelzimmers lag und an den Sturz auf den Popo dachte, musste ich über mich selber lachen: Mein Gott, dachte ich, das war ja genauso wie als Kind, als du in den High Heels deiner Oma rumgestolpert bist. Nur dass dir diesmal nicht dein Vater, sondern Millionen Menschen dabei zugeschaut haben.
    Doch in den Jahren dazwischen ist so vieles passiert. Was damals ein Spielzeug war, ist mittlerweile ein Arbeitsinstrument. Als mein Vater 2012 zu Besuch nach Deutschland kam, durfte ich sogar unter seinen Augen mit den High Heels spielen. Nach einem Fernsehauftritt, zu dem er mich begleitete, sagte er: » Hijo , Sohn, gib mir diese Dinger, diese High Heels, du wirst sehen, wie ich hier laufe.« Bei diesem Satz war mir klar, dass mein Vater mir und meinem Leben mit all seinen Facetten ganz nah und dass er stolz auf mich ist.
    Ich kam damals ohne Gepäck und mit leeren Händen nach Deutschland. Ich konnte die Sprache nicht, aber ich hatte meinen deutschen Traum. Die meisten Leute sprechen immer vom amerikanischen Traum und meinen damit »vom Tellerwäscher zum Millionär«. Mein deutscher Traum bedeutete nicht, reich zu sein, Erfolg zu haben oder als Catwalktrainer bei GNTM bekannt zu werden. Er war nie materiell, sondern immer ideell. Es ging mir darum, akzeptiert und respektiert zu werden, egal wie ich lebe.
    In Deutschland hat sich dieser Traum erfüllt, denn ich habe hier meine innere Freiheit gefunden. Ich bin dem Mann aus meinen Träumen – dem Prinzen, dem Musketier, dem Homosexuellen, dem freien Menschen – in der Realität sehr ähnlich geworden. Ich kann auf die Straße gehen, ohne mein Ich verstecken zu müssen. Da wo ich herkomme, ging das nicht. Ich konnte mich nicht frei bewegen, nicht reisen und auch nicht sein, wie ich wollte. Deshalb habe ich mein wunderschönes Land verlassen.
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