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Höllensog

Höllensog

Titel: Höllensog
Autoren: Jason Dark
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wäre seine Familie nur mal eben kurz verschwunden, um wenig später wieder zurückzukehren.
    Auf dem Tisch standen noch die Becher mit der sauren Milch. Daneben lagen frisch geerntete Beeren, und er sah auch einige Schalen und Schüsseln.
    Nur keine Menschen.
    Gregor durchsuchte das Haus bis in die kleine Dachkammer, die er bewohnte. Nichts fand er.
    Das Grauen hatte zugeschlagen und den Höllensog geschickt. Er hatte die Menschen zu sich geholt und sie in eine andere, in eine sicherlich schlimme Welt geschafft.
    Damit kam Gregor nicht zurecht. Immer wieder sah er das Bild vor sich, den Sog, in dem die Menschen aus dem Ort eingepackt worden waren, um wegtransportiert zu werden. Wohin?
    Das war ihm ein Rätsel.
    Als er die breite Stiege nach unten schritt, kam ihm erst zu Bewußtsein, daß er als einziger aus dem Ort überlebt hatte. Alle anderen gab es nicht mehr, nur er war geblieben. Der einzige, der Überlebende. Dieser Gedanke machte ihm derartig zu schaffen, daß er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.
    Mit letzter Kraft erreichte er den großen Tisch, ließ sich daran nieder und preßte sein Gesicht gegen die auf der Platte liegenden angewinkelten Arme.
    Gregor Smirnow trauerte um seine Familie. Er weinte auch um die anderen Verschwundenen, und als er keine Tränen mehr hatte, da war die Sonne schon tiefer gesunken, und die Häuser im totenstillen Ort warfen die ersten Schatten.
    Gregor war noch immer allein.
    Er würde auch allein bleiben, denn nichts deutete darauf hin, daß jemals wieder einer der Bewohner zurückkehrte. Nur wollte er das nicht akzeptieren. Er stemmte sich dagegen, mit dem Ergebnis, daß er ebenfalls nicht bleiben wollte.
    »Ich muß weg«, flüsterte er. »Ich kann nicht mehr bleiben. Ich muß in die Stadt fahren, und ich muß jemandem Bescheid sagen, der sich darum kümmert.«
    An wen sollte er sich wenden? Wem konnte er dieses Vertrauen entgegenbringen? Wer würde ihm überhaupt glauben? Wenn er zu einem Polizeiposten ging, würde man ihn auslachen. Wenn sich die Männer dann trotzdem informierten und das menschenleere Dorf sahen, würden sie ihn festnehmen und ihm die Schuld geben.
    Die Wahrheit würde keiner akzeptieren. Bis auf einen!
    Gregor Smirnow erinnerte sich an einen Bekannten oder Freund seines Vaters. Als es noch das Riesenreich der UdSSR gegeben hatte, da war dieser Mann hin und wieder zu ihnen gekommen und hatte mit seinem Vater geredet. Zumeist war der Vater dann für mehrere Tage verschwunden, aber er hatte nie etwas über seine Arbeit berichtet und immer nur gesagt, daß er seinem Freund Wladimir einen Dienst schuldig war.
    Wladimir hieß er.
    Und wie weiter?
    Er wohnte in Moskau, er mußte etwas mit der Polizei oder einer ähnlichen Gruppe zu tun haben, auch das stand für den Jungen fest. Er grübelte intensiv über den Nachnamen nach, denn Wladimirs gab es zu Tausenden. Da war es unmöglich, den richtigen darunter herauszufinden.
    »Wladimir… Wladimir… wie weiter…?« Gregor gab nicht auf. Plötzlich durchschoß ihn nach dieser langen Zeit der Depression zum erstenmal wieder so etwas wie ein Gefühl des Glücks.
    Golenkow!
    Ja, das war es. Der Mann hieß Wladimir Golenkow, und er lebte in Moskau. Auch wenn es mehrere Golenkows dort gab, den richtigen würde Gregor schon finden, das traute er sich zu.
    Er selbst besaß so gut wie kein Geld, aber seine Eltern hatten eine kleine Rücklage für Notfälle. Auch wenn der Rubel nicht mehr viel wert war, die Summe würde trotzdem reichen, um nach Moskau zu gelangen.
    Und Gregor wußte auch, wo seine Eltern das Geld versteckt hielten. In ihrem Schlafzimmer war es.
    Er kam sich wie ein Dieb vor, als er das Zimmer betrat. Das schlechte Gewissen peinigte ihn, aber er mußte einfach das Geld an sich nehmen.
    Heute war eben ein Notfall eingetreten, das hätten auch seine Eltern eingesehen.
    Der Junge wußte, wo das Geld lag. Ihm, dem Ältesten, hatten sich seine Eltern anvertraut. Er öffnete eine Schranktür und griff nach einer lockeren Bohle am Boden.
    Seine rechte Hand umfaßte das Bündel Scheine. Er schaute es an, und seine Augen weiteten sich. Das waren keine Rubel, das waren Dollarscheine und Deutsche Mark. Er war reich!
    Sekundenlang schloß er die Augen. Auch wenn Gregor so ziemlich am Ende der Welt lebte, er war jedoch aufgeweckt und hatte mitbekommen, was sich in dem neuen Rußland abspielte und welche Schwierigkeiten die Menschen hatten. Der Rubel zählte nicht viel, dafür gab es die Mafia, es gab Morde
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