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Hölle ohne Hintertür

Hölle ohne Hintertür

Titel: Hölle ohne Hintertür
Autoren: Stefan Wolf
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fluchte wegen der langen Fahrt. Oskar hechelte,
merkte aber jetzt, wohin es ging, und freute sich auf Alina.
    Tim war noch nicht hier
gewesen, sah sich um und registrierte die Umgebung. Für einen Blinden war die
Abgelegenheit nicht gerade ideal. Für jemanden, der von der Welt nichts mehr
wissen will, allerdings schon.
    Da ist es, dachte der
TKKG-Häuptling. Nr. 62. Kleines Grundstück, ziemlich zausig. Und Alina hat den
Rasen zum Flickenteppich zerpinkelt. Der Bungalow braucht Farbe. Lila
Dachziegel hat er. Und die Hecke ist verwildert wie ‘ne Macchia (verfilztes,
immergrünes Gebüsch).
    »Wir sind da«, verkündete Gaby
und stieg vom Rad. Sie musterte die Jungs. »Wisst ihr, wie ihr ausseht?!
Befangen. Als hättet ihr null Ahnung, wie man mit einem Blinden umgeht.«
    »Vielleicht gefällt ihm mein
Hemd nicht«, meinte Klößchen.
    »Schäm dich für diesen Witz«,
funkelte Gaby ihn an.
    »Schon klar, Pfote«, sagte Tim.
»Es ist nicht wegen seiner Behinderung. So was blendet man einfach aus. Aber
seine Zurückgezogenheit ist das Problem. Da er ja zu nichts und niemandem
Kontakt pflegt, geht es ihm vielleicht auf den Geist, wenn wir zu viert samt
Oskar antanzen.«
    Gaby schüttelte den Kopf. »Das
ist doch unser Anliegen. Wir holen ihn raus aus seinem Mauseloch. Lasst mich
nur machen. Mich und Oskar hat er neulich sogar zu sich reingebeten. Und ihr
glaubt nicht, wie ordentlich er’s hat. Davon kann Klößchen nur träumen, obwohl
er nicht einen Bungalow bewohnt, sondern nur die Hälfte einer lausig engen
Internatsbude.«
    »Unser Adlernest ist o.k.«,
grinste Klößchen. »Wir könnten jederzeit einen Staatsbesuch empfangen. Zum Beispiel
den Präsidenten von Honduras. Der residiert in Tegucigalpa und ernährt sich von
Bananen. Denn Honduras gilt als Bananenrepublik.«
    Gaby verdrehte die Augen,
fasste Oskars Leine kürzer und ging durch die Gartenpforte zum Haus. Die Jungs
folgten ihr.
    Tim lag die Frage auf der
Zunge, ob Alexander Korlitzer Auto fahre. Er verkniff es sich aber.
    »Heh, Amigos! Seht mal zur
Garage. Er hat Besuch gehabt. Reifenspuren. Ich würde sagen: sowohl rein als
auch raus.«
    Die Einfahrt zwischen Garage
und Straße war von Unkraut überwuchert — auch von Knäuel-, Kammgras und
Riesenschwingel. Autoreifen hatten Spuren hineingewalzt. Auf den ersten Blick
war es nur eine sehr breite Spur. Bei genauerem Hinsehen aber hatte Tim
erkannt, dass die Verbreiterung von einer zweiten Spur herrührte.
    »Das erstaunt mich«, sagte
Gaby. »Das muss aber ein sehr guter Freund sein, wenn er die Garage benutzen
darf.«
    »Vielleicht eine Freundin«,
nickte Tim. »Und sie ist über Nacht geblieben. Denn für einen kürzeren Besuch
kann man hier den Wagen am Bordstein parken, ohne dass es irgendwen ärgert.«
    »Vielleicht«, sagte Karl, »hat
er mehr Kontakt, als du annimmst, Gaby.«
    Sie erwiderte nichts, sondern
klingelte. Im Haus hallte der schrille Ton. Oskar hechelte und schnupperte an
den Steinstufen. Niemand öffnete. Gaby klingelte mehrmals, aber vergebens.
    »Wir hätten uns doch anmelden
sollen«, überlegte sie.
    »Ich gucke mal in die Fenster«,
sagte Tim und stiefelte auch schon los.
    Seine Freunde folgten ihm. Fast
alle Fenster boten Einblick in die Räume des Bungalows, denn weder Vorhänge
noch Gardinen waren geschlossen. Tim sah in die Diele. An der Garderobe hing
ein ledernes Hundegeschirr mit einem U-förmigen Führgriff anstelle der Leine.
Das Führgeschirr. Tim sah in die Küche, in das Bad, in ein kleines Zimmer, das
wohl eine Art Arbeits- und Unterhaltungsraum war, jedenfalls enthielt es eine
Stereo-Anlage mit hohem Hi-Fi-Turm, ein Tastentelefon, ein Mobiltelefon, einen
Kopfhörer, einen tragbaren Radiorekorder und ein Gerät, das einem kleinen
Computer ähnelte, allerdings kein Display hatte. Es gab einen Bürosessel und
einen bequemen Schaukelstuhl. Auf dem Tisch häuften sich Schriftstücke und
Formulare. Tim begriff, worum es sich bei dem computerartigen Gerät handelte:
um ein Vorlesegerät für Blinde.
    Tim ging weiter, seine Freunde
hinter sich, und berührte mit der Nasenspitze die Scheibe zum Wohnraum. Der
enthielt: Bartisch, vier Klubsessel, Wandregale mit Büchern — vermutlich in
Blindenschrift, Teppiche, die farblich nicht zueinander passten, eine Zimmerpalme
im Keramiktopf und ein kurzes Sofa mit zwei Sitzen.
    Tim ging weiter zur letzten
Station — sieht man ab von einem Milchglasfenster, das natürlich zur Toilette
gehörte. Das Schlafzimmer wirkte düster. Das
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