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Hoelle auf Zeit

Hoelle auf Zeit

Titel: Hoelle auf Zeit
Autoren: Jack Higgins
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gefilzt.«
      »Also was soll ich tun?« Noch nie hatte sich Eric Talbot so benommen, so wirklichkeitsfern gefühlt, und seine Stimme schien von irgendwo außerhalb seines Körpers zu kommen.
      »Ich habe einen hübschen blauen Anzug für dich, samt Re­
    genschirm und Aktenmappe. Du wirst wie ein echter Ge­ schäftsmann aussehen.«
    Sie ergriff seinen Arm und half ihm auf. Bei Marie an der
    Bar angelangt, begann er zu lachen. Sie blickte hoch. »Sie finden mich erheiternd, junger Mann?«
      »O nein, Madame, nicht Sie. Das Lokal hier. ›La Belle Auro­ re‹. So heißt das Café in Casablanca, in dem Humphrey Bogart und Ingrid Bergman ihr letztes Glas Champagner trinken, bevor die Nazis kommen.«
      »Bedaure, Monsieur, aber ich schaue mir keine Filme an«, erwiderte sie ernst.
      »Hören Sie mal, Madame, Casablanca kennt doch jeder«, belehrte er sie mit schwerer Zunge, durchdrungen vom missio­ narischen Eifer des Betrunkenen. »Meine Mutter starb bei meiner Geburt, und mit zwölf bekam ich eine neue. Meine wunderbare, großartige Stiefmutter, die bezaubernde Sarah. Mein Vater war beim Militär und viel weg, aber Sarah machte alles wett, und in den Ferien durfte ich aufbleiben, wenn im Fernsehen um Mitternacht Casablanca lief, und mir den Film anschauen.« Er beugte sich weiter vor. »Casablanca müßte obligatorisch zur Allgemeinbildung gehören, sagte Sarah, denn es gibt zu wenig Romantik und Liebe auf der Welt.«
      »Da bin ich ganz ihrer Meinung.« Sie tätschelte ihm die Wangen. »Ab ins Bett.«
      Das war Eric Talbots letzte bewußte Wahrnehmung, denn als er zur Tür gelangte, befand er sich bereits völlig in einem chemisch herbeigeführten hypnotischen Zustand. Er überquerte den Kai mit schlafwandlerischer Sicherheit, von Agnes am Arm gehalten. Sie kamen an einigen Lagerhäusern vorbei zu einem kleinen Ladeplatz, einer Rampe mit Kopfsteinpflaster, die zum Fluß hinunterführte.
      Sie blieben stehen, und Agnes rief leise: »Valentin?«
      Der Mann, der aus dem Schatten trat, wirkte hart und bedroh­
    lich, eine breitschultrige, hünenhafte Gestalt, die jedoch bereits Verfallserscheinungen erkennen ließ und durch das lange schwarze Haar und den dichten Backenbart seltsam altmodisch anmutete.
    »Wie viele Tropfen hast du ihm gegeben?«
      »Fünf.« Sie zuckte die Achseln. »Kann sein, auch sechs oder sieben.«
      »Erstaunliches Zeug, dieses Scopolamin«, bemerkte Valen­ tin. »Wenn wir ihn jetzt allein ließen, würde er in drei Tagen aufwachen und könnte sich an nichts erinnern, „was er getan hat, nicht mal an Mord.«
      »Aber du läßt ihn doch nicht etwa in drei Tagen wieder auf­ wachen?«
      »Natürlich nicht. Deshalb sind wir doch hier, oder?«
      Sie zitterte. »Du jagst mir Angst ein, ehrlich.«
      »Gut so«, sagte er und packte Talbots Arm. »Jetzt aber nichts wie ran.«
      »Ich kann’s nicht mit ansehen. Ich kann’s einfach nicht.«
      »Mach, was du willst«, erwiderte er gleichgültig.
      Sie entfernte sich, und er nahm den Jungen beim Arm und führte ihn die Rampe hinunter. Talbot folgte ohne Zögern. Unten angelangt, hielt Valentin inne und sagte dann: »Rein mit dir.«
      Talbot trat ins Leere und verschwand. Sekunden danach kam er wieder an die Oberfläche und starrte blicklos zu dem Fran­ zosen hinauf. Valentin ließ sich am Rand der Rampe auf ein Knie nieder, beugte sich weit vor und legte dem Jungen eine Hand auf den Kopf.
      »Leb wohl, mein Freund.«
      Es war so erschreckend einfach. Der Junge ging unter, als Valentin zustieß, blieb widerstandslos unter Wasser, nur Luft­ blasen stiegen noch an die Oberfläche, bis auch das aufhörte. Valentin bugsierte den leblosen Körper um den Mauerrand und ließ ihn, fast gänzlich unter Wasser, am Ende der Rampe aus­ gestreckt liegen.
      Er trocknete sich die Hände mit einem Taschentuch und ging zu Agnes zurück. »Du kannst deinen Anruf erledigen. Wir sehen uns nachher bei mir.«
    Sie wartete, bis seine Schritte verhallten, und machte sich dann am Kai entlang auf den Weg. Als sich in einem dunklen Tor­ weg etwas bewegte, wich sie erschrocken zurück. »Wer ist da?«
      Jemand zündete sich eine Zigarette an, und der Lichtschein fiel auf das Gesicht des Mannes, der im Café gesessen hatte. »Kein Grund, gleich die ganze Nachbarschaft aufzuscheuchen, Schwester.«
      Sein Englisch klang nach Public School und hatte einen ge­ dämpft gutgelaunten Unterton mit einem Anflug von
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