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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst
Autoren: Christine Lehmann
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morgen wissen wir mehr. Da wird die Höhlenrettung ihn bergen.«
    Janette stand auf, ihr leeres Glas in der Hand. Ich probierte, ob meine ausgeleierten Sehnen die Knochen noch zusammenhielten. Ungelenk wie ein Kamel folgte ich Janette in die Küche. In der Spüle verkeilten sich jene Teller, Messer und Tassen, die Männer mit der Bemerkung zu hinterlassen pflegen, sie hätten sie noch in die Spülmaschine geräumt, wäre die Frau ihnen nicht wieder mal zuvorgekommen. Auf dem Tisch stand eine Flasche Rotwein.
    Janette goss ihr Glas voll, wandte mir ihre Hinterbackenbällchen im atemberaubenden Spiel der Khakifalten zu, öffnete das Fenster, holte einen Aschenbecher vom Fensterbrett herein und zündete sich eine Zigarette an.
    An die Kante einer Arbeitsfläche gelehnt, den Unterarm quer über der Hüfte, den Ellbogen des anderen Arms in die Hand gestützt, rauchte sie blicklos. Jeder Zug eine Nebelkerze gegen die Unerträglichkeit des Lebens. Ich zündete mir ebenfalls eine Zigarette an und ließ mich berücken vom Reißverschluss ihrer Hüfthose, der den kurzen Weg von der Gürtelschnalle zum Schambein nahm.
    »Komisch, dass Hark so plötzlich verschwunden ist.«
    »Ich denke«, antwortete Janette, »er musste nach Hau se. Er ist allein erziehender Vater.«
    »Aber zu Fuß? Und lässt seine Tasche einfach da? Ein paar Minuten später hätten wir ihn gefahren.«
    Janette zuckte mit den Schultern, nahm einen Schluck Wein und füllte das Glas sofort nach. Ein roter Tropfen rann den Kelch entlang und zog sich unter den Fuß.
    »Wusstest du, dass er Knieprobleme hat?«, fragte ich weiter.
    »Nach dem Unfall dachte man, er würde überhaupt nie wieder laufen können. Die Reha hat Monate gedauert.«
    »Warum hat er sich dann nicht von der Liste der Höhlenretter streichen lassen? Spätestens am Dienstag weiß jeder, dass nicht der große Hark Fauth, sondern eine zufällig anwesende Tussi aus der Stadt den kleinen Julian aus der Höhle geholt hat. Dokumentiert in deiner Zeitung mit Text und Foto. Das wird Gerrit in der Schule allerlei Spott eintragen.«
    »Soll ich lügen?« Janette spitzte die Glut am Aschenbecherrand. »Wenn sich herumspricht, dass ich Fauth in meinem Bericht unterschlagen habe, dann werde ich unglaubwürdig.«
    Das Glaubwürdigkeitsproblem hatte ich nicht mehr. Mich musste auch keine Leiche mehr interessieren. Ich konnte mich auf mein privates Problem mit meinem Staatsanwalt konzentrieren.
    »Und sollte Hark etwas mit der Leiche zu tun haben …«, sinnierte Janette.
    »Warum das denn?«
    »Na, es ist schon komisch, dass Hark nicht selbst in die Höhle gestiegen ist. Das findest du doch auch.«
    »Hallo, Miss Marple!«
    Janette blies versonnen den Rauch über den Küchentisch zum Fenster, wo er zwischen Kalt- und Warmluft verwirbelte. Ich kannte diese Gier. Einmal selbst eine Geschichte auftun, ehe sie im Polizeibericht stand. Selbst einen Mordfall lösen. Wie fremd mir das plötzlich war. Was hatte ich eigentlich all die Jahre getrieben? Ein Leben wie im Fiebertraum. Währenddessen hatte Janette mit Florian ein Kind bekommen und ein Haus gekauft.
    Auf Birkenstocks raschelte er in die Küche und meldete, dass Laura schlafe. Die unendliche Erleichterung der Eltern, wenn sie den nachwachsenden Fremdling losgeworden sind, wurde durch meine gastfremde Gegenwart allerdings geschmälert. Janette und ich stauchten die Kippen in den Aschenbecher. Sie besann sich darauf, auch mir ein Glas Wein einzuschenken. Florian stellte den Aschenbecher aufs Fensterbrett, holte ein Bier aus dem Kühlschrank und ploppte es auf. Sie nahm ihr Glas und kreuzte die Arme.
    »Ich habe das Gästebett bezogen«, teilte er mit.
    »Hoffentlich hast du nicht wieder den zerrissenen Bettbezug genommen!«
    »Warum heben wir den eigentlich auf?«
    Ich hätte den Wink verstehen und mich ins Gästezimmer zurückziehen sollen. Stattdessen erinnerte ich mich meiner eigenen Suchrichtung. »Wie hieß noch mal der Geschäftsführer der GmbH, die den Truppenübungsplatz erschließen soll?«
    »Ernst Schorstel«, antwortete Janette, »entstammt einer alteingesessenen Laichinger Leinweberfamilie. Seinem Bruder, Alfons Schorstel, gehört die Canfax-Gruppe: Außentextilien und Naturmöblierung, Festzelte, Planen, Fahnen, Parkbänke, Aussichtsplattformen, Fahrradständer und so weiter. Sitzt in Laichingen, genauso wie die Natra GmbH von Ernst Schorstel. Ein Narr, der sich Böses dabei denkt.«
    »Wieso?«, fragte ich töricht.
    »Du weißt ganz genau,
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