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Höchstgebot

Höchstgebot

Titel: Höchstgebot
Autoren: Hoeps/Toes
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unser Helikopter?«, brüllte Molendorp in sein Mikrofon, um danach nur noch stumm auf den Vrijthof zu stieren.
    Micky räusperte sich. »Schauen wir, wie es Katja und Robert geht. Die Motorräder werden deine Leute auch alleine sichern können.«
    Auf dem Dominikanerplatz standen drei Krankenwagen. Der Mann mit dem durchschossenen Fuß wurde gerade herausgetragen. In der Kirche war der Ort, an dem ihn die Kugel getroffen hatte, abgesperrt worden und neben der Tür suchten Kriminaltechniker den Boden nach der Patronenhülse ab.
    Micky und Molendorp stiegen über die vordere Treppe in den ersten Stock. Robert saß auf einem Papphocker und sah Anouk an, die auf einer Bahre lag, das Kleid aufgeschnitten, den Körper voller Blut. Der Arzt, der sie versorgte, hatte Schweißperlen auf der Stirn.
    »Er hat gerade ihr Herz wieder zum Schlagen gebracht«, sagte Robert matt, als Micky ihm die Hand auf die Schulter legte.
    »Wo ist Katja?«, fragte Molendorp.
    »Drüben auf dem Außengang. Es geht ihr einigermaßen gut. Fleischwunde im Oberschenkel. Sie hat mich zu Anouk geschickt.«
    Molendorp schaute auf die Treppenstufen und schob sich vorsichtig an dem Arzt vorbei. Als er wieder zurückkehrte, lag in seiner Handfläche auf einem Taschentuch Anouks Revolver.
    »Ziemlich rostig«, meinte Micky.
    »Ein Offiziersrevolver der belgischen Armee«, antwortete Molendorp. »Mein Vater hat so etwas gesammelt. Ein Brevet Nagant aus Lüttich. Muss mindestens von ihrem Großvater sein. Schießen konnte sie mit dem Ding jedenfalls nicht.«
    »Wusste sie das?«
    »Bestimmt.« Er zeigte auf eine Naht, an der der Abzugshahn mit dem Rahmen verschweißt war. »Ist nur noch was fürs Schaufenster.«
    »Was wollte sie eigentlich?«, fragte Micky kopfschüttelnd.
    »Mit Leib und Seele leben.« Robert schaute sie wütend an. »Verstehst du das denn nicht?«
    Der Arzt erhob sich ächzend. »Versuchen wir es«, sagte er achselzuckend zu den Sanitätern. Sie lösten sich aus ihrer Warteposition und traten an die Bahre heran.
    »Ich fahre mit«, sagte Robert und stand auf.

31
    Henk Molendorps Bild von sich selbst war das eines Polizisten mit Leib und Seele. Das bedeutete zum Beispiel, dass er Gewalt für ein notwendiges Übel hielt, mit Betonung auf Letzterem. Außerdem war er davon überzeugt, dass niemand sich das Recht auf Selbstjustiz anmaßen durfte. Und ebenso glaubte er, dass der Rechtsstaat, trotz aller menschlichen Fehler, die Voraussetzung für eine mehr oder weniger lebenswerte Gesellschaft bot. Daher wehrte er sich konsequent gegen den Zynismus, der bei Polizisten stets auszubrechen drohte, weil sie überdurchschnittlich viel Kontakt mit unterdurchschnittlich gutwilligen Mitbürgern hatten.
    Allerdings hatte er im Laufe seiner Karriere eingesehen, dass all dieses edle Gedankengut mit praktischen Vorteilen einhergehen sollte, auch wenn er den Spruch ›Erst kommt das Fressen, dann die Moral‹ weiterhin ablehnte. Fressen und Moral waren für ihn vielmehr wie zwei gleich schwere Gewichte auf den beiden Schalen einer Waage. Ohne das eine würde das andere rasch untergehen.
    Von dem Mann, der sich zwei Tage nach der katastrophal verlaufenen Erpressungsaktion in seinem Büro meldete, erwartete er mehr oder weniger dieselbe Haltung, weil er ansonsten kaum geglaubt hätte, dass sein Gegenüber wirklich ein Beamter des Innenministeriums war. Doch sein Glaube an die Polizei wurde zutiefst erschüttert.
    Es war schon ein schlechtes Zeichen, dass sich der Besucher, der sich als Jan Anderman vorstellte, einfach nur ankündigte, ohne vorher höflich zu fragen, ob Molendorp Zeit für ihn habe. Außerdem verdonnerte er den Commissaris dazu, für das Gespräch ein gesondertes Zimmer zu wählen. Molendorp geriet in Versuchung, ihn in eine Arrestzelle führen zu lassen, verwarf die Idee jedoch wieder, als er erfuhr, dass er es mit einem ziemlich hohen Tier vom niederländischen Inlandsgeheimdienst AIVD zu tun hatte.
    Jan Anderman kam um elf und kündigte an, dass die Besprechung eine halbe Stunde dauern würde. Er äußerte die Hoffnung, mit einer positiven Antwort nach Den Haag zurückkehren zu können.
    »Den Haag?«, hatte Molendorp gefragt. »Ich dachte, Sie sitzen in Zoetermeer?«
    »In Den Haag befindet sich der Sitz unserer Freunde«, erwiderte Anderman.
    »Welcher Freunde?«, fragte Molendorp.
    Statt zu antworten, holte Anderman eine nummerierte Akte aus einem Koffer. Er sagte: »Bevor wir dieses Gespräch zum Abschluss bringen, sollten Sie sich
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