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Hochzeit im Herrenhaus

Hochzeit im Herrenhaus

Titel: Hochzeit im Herrenhaus
Autoren: Anne Ashley
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Halle.”
    Anscheinend war er mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, die unkonventionelle Retterin des Viscounts müsste die Tochter eines Gentleman sein, denn er führte sie widerstandslos in einen gemütlichen Salon. Annis sank in einen Sessel vor einem hellen Kaminfeuer und fragte den Mann nach seinem Namen, bevor sie sich vorstellte.
    “Ja, Dunster, für eine Erfrischung wäre ich dankbar”, beantwortete sie das Angebot des Butlers, der allmählich auftaute. “Nur eine Tasse Tee. Ich möchte nichts essen. Hoffentlich wird Ihre Herrin bald eintreffen. Dann werde ich in die Stadt fahren und dort dinieren.”
    Ihre Absicht, die Gastfreundschaft Seiner Lordschaft nicht zu beanspruchen, trug Annis einen anerkennenden Blick des übertrieben korrekten Dienstboten ein. Doch sie war nicht überrascht, als sie ihre Pläne wenig später ändern musste.
    Nachdem sie eine Tasse Tee getrunken hatte, wurde sie ins Herrschaftsschlafzimmer gebeten. Dunster begleitete sie nach oben. Ob sie diese Ehre seiner Wertschätzung verdankte oder ob er ein wachsames Auge auf die kostbaren Silber- und Porzellangegenstände werfen wollte, an denen sie vorbeigingen, wusste sie nicht. Und es interessierte sie auch nicht, weil es ihr viel wichtiger erschien, herauszufinden, warum ihre Anwesenheit am Krankenlager des Viscounts erwünscht war.
    Ein Blick auf Deverel Greythorpes verletzten Arm bestätigte das Vertrauen, das sie in das Urteilsvermögen ihrer Zofe gesetzt hatte. “O ja, Eliza”, sagte sie und nahm auf der Kante des reich geschnitzten, mit üppigen Vorhängen ausgestatteten Vierpfostenbetts Platz, um die Wunde genauer zu inspizieren. “Da haben sich ein paar Fasern vom Reitrock Seiner Lordschaft verfangen. Meine Pinzette, bitte.”
    “Wegen meiner schlechten Augen habe ich’s nicht gewagt, sie selber herauszuzupfen, Miss”, gestand Eliza und nahm das gewünschte Gerät aus einer kleinen Reisetasche, die sie mitgebracht hatte. “So, wie die Wunde aussieht, muss man sie sehr vorsichtig behandeln.”
    “Allerdings, sie hat sich bereits entzündet. Aber zum Glück ist es nur ein Streifschuss, und ich muss wenigstens keine Kugel herausholen.”
    Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Dunster und ein anderes Mitglied des Personals – wahrscheinlich der Kammerdiener des Hausherrn – in unverhohlener Verwirrung einen Blick wechselten. Offenbar staunten sie, weil diese junge Dame ein solches Unterfangen auch nur in Erwägung zog. Sie unterdrückte ein Lächeln und konzentrierte sich wieder auf den angeschossenen Arm.
    “Leider kann ich im Moment nicht mehr tun”, verkündete sie, nachdem sie die Fasern behutsam entfernt, die Wunde gründlich gereinigt und dem Patienten einen Verband angelegt hatte. “Ist Seine Lordschaft irgendwann zu sich gekommen, wenn auch nur kurzfristig?”
    “Seit er in dieses Zimmer getragen wurde, bedauerlicherweise nicht, Ma’am”, antwortete der Kammerdiener. “Wenn ich mich vorstellen darf – ich heiße Flitwick. Während wir Seine Lordschaft auskleideten und ihm ein Nachthemd anzogen, rührte er sich nicht.”
    Das missfiel ihr. Aber Annis verbarg ihre Sorge und erklärte der Zofe: “Vorerst bleibe ich hier. Ruhen Sie sich eine Weile aus. Dunster wird so freundlich sein und Ihnen eine Mahlzeit servieren lassen.”
    Sie lächelte den Butler an, der ihr mit einer knappen Verbeugung sein Einverständnis bedeutete. Weil sie nicht den Anschein erwecken wollte, sie würde in diesem Haushalt das Kommando übernehmen, bat sie ihn, er möge ihr sofort Bescheid geben, wenn Miss Greythorpe zurückkehrte. Danach führte er Eliza aus dem Schlafgemach, und der Kammerdiener folgte ihnen, den ruinierten Reitrock seines Herrn und das ebenfalls zerrissene feine Leinenhemd über dem Arm. Sichtlich bestürzt, musterte er den Schaden.
    Nun blieb Annis allein mit Seiner Lordschaft zurück und konnte ihn zum ersten Mal etwas genauer betrachten. Dabei fand sie ihren anfänglichen Eindruck bestätigt. Seine Züge waren zu kantig, um schön zu wirken. Wie die Patentante erwähnt hatte, war er vor einigen Wochen dreißig Jahre alt geworden. Trotzdem zeigten sich nicht einmal zarte Linien um seine Augen und den Mund, und das legte die Vermutung nahe, dass dieser Gentleman nur selten lachte. Was aber keineswegs die Schlussfolgerung erlaubte, er würde keinen Humor besitzen …
    Annis beugte sich vor. Um die Temperatur seiner Stirn zu prüfen, berührte sie die Furche zwischen den pechschwarzen Brauen. Ein weiterer
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