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Hochzeit im Herrenhaus

Hochzeit im Herrenhaus

Titel: Hochzeit im Herrenhaus
Autoren: Anne Ashley
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plötzlich hielt, verstummte sie. Vorerst schneite es noch nicht so stark, dass eine Unterbrechung der Reise ratsam erschienen wäre. Deshalb nahm Annis an, der Kutscher und seine beiden Gehilfen – nicht ganz sicher, wo Greythorpe Manor lag – würden an einer Kreuzung erörtern, welche Richtung sie einschlagen sollten. Sie zog ihr Cape enger um die Schultern, öffnete das Fenster und verlangte eine Erklärung für die Verzögerung.
    Sofort eilte der sichtlich verlegene Kutscher zur ihr, mit der Information, eine Gestalt läge auf der Straße. Verständlicherweise erstaunt, aber nicht ernsthaft beunruhigt, stieg Annis aus, dicht gefolgt von der fürsorglichen Eliza.
    Immer wieder war sie mit ihrem Vater verglichen worden. Nicht nur ihr Aussehen hatte sie von dem verstorbenen Dr. Milbank geerbt, sondern bis zu einem gewissen Grad auch ihren Charakter – insbesondere eine untrügliche Beobachtungsgabe. Die nutzte sie jetzt auf dem Weg zu dem Mann, der reglos am Boden lag. Ein schönes rotbraunes Pferd stand in der Nähe seines offenbar verletzten Herrn.
    Nach einem flüchtigen Blick in den Wald, der die Straße säumte, kniete Annis nieder, um den Fremden zu untersuchen. Aus einem versengten Loch im Ärmel seines Reitrocks quoll Blut, und an der Stirn entdeckte sie eine Schürfwunde. Mit Elizas Hilfe drehte sie den Mann auf den Rücken. Dann inspizierte sie den Inhalt seiner Taschen, fand aber keinen Hinweis auf seine Identität. Nur eins stand vermutlich fest – er war keinem Raubüberfall zum Opfer gefallen.
    “Verzeihen Sie, Miss …”, begann der verängstigte Kutscher, als sie aufstand. “Wir sollten weiterfahren. Wer weiß, wer zwischen diesen Bäumen auf der Lauer liegt …”
    “Sollen wir den armen Mann etwa seinem Schicksal überlassen?” Hochmütig hob sie die Brauen. Diese Miene erinnerte Eliza Disher stets an die aristokratische Großmutter ihrer jungen Herrin, eine furchterregende Matrone, der niemand zu widersprechen gewagt hatte.
    Auch jetzt erzielte Annis’ vernichtender Blick die gewünschte Wirkung. Die beiden Gehilfen des Kutschers trugen den Verwundeten in den Wagen, nicht ohne zu murren und zu fluchen. Nachdem sie den edlen Wallach des Fremden am Heck der Kutsche festgebunden hatten, wurde die Reise fortgesetzt.
    “Hoffen Sie, man wird den Mann in Greythorpe Manor kennen, Miss?”, fragte Eliza und beobachtete, wie ihre Herrin einen Muff unter den Kopf des Mannes schob, um es ihm bequemer zu machen.
    “Wenn er aus dieser Gegend stammt, wird man im Manor sicher wissen, wer er ist.” Annis betrachtete die aristokratischen Züge des Bewusstlosen, die nicht hübsch, aber prägnant wirkten und einen starken Charakter verrieten. “Nach seiner Kleidung und dem kostbaren Pferd zu schließen, muss er gut situiert sein. Wohlhabende Gentlemen pflegen längere Reisen in ihren Kutschen zu unternehmen, nicht im Sattel. Also dürfte er in dieser Region leben.”
    “Jedes Mal, wenn Sie so reden, erinnern Sie mich an Ihren klugen Vater, Miss Annis”, bemerkte Eliza lächelnd.
    Dieses Lob wurde nicht gewürdigt. Stattdessen runzelte Annis die Stirn.
    “Was bedrückt Sie, Miss? Fürchten Sie, der Gentleman ist schwer verletzt?”
    “Das wird sich erst bei einer genaueren Untersuchung herausstellen. Aber ich glaube, es ist nicht so schlimm. Offenbar wurde er von einer Kugel getroffen – nur ein Streifschuss, nehme ich an. Die Wunde an der Stirn muss er sich bei seinem Sturz vom Pferd zugezogen haben. Warum er überfallen wurde, verstehe ich nicht, denn der Angreifer hat ihn nicht beraubt. Die Börse, die ich vorhin aus seiner Tasche nahm, ist prall gefüllt.”
    “Vielleicht hat unsere Ankunft den Übeltäter gestört, bevor er sich die Wertsachen des Gentleman aneignen konnte, und er ergriff die Flucht.”
    “Wohl kaum, Eliza. Wir haben keinen Schuss gehört. Also muss die Attacke schon vor einiger Zeit erfolgt sein. Außerdem fand ich keine Fußspuren im Schnee, abgesehen von unseren eigenen und den Hufabdrücken des Wallachs. Vor etwa fünfzehn Minuten begann es zu schneien, und ein Räuber hätte genug Zeit gefunden, die Taschen des Gentleman zu leeren.”
    Das Tempo des Gespanns wurde gedrosselt, als der Wagen zwischen zwei imposanten Steinpfeilern hindurchrollte. Kurz danach erblickte Annis die majestätische Fassade des Herrenhauses im Stil des 17. Jahrhunderts. Sobald der Wagen hielt, stieg sie aus und ging zu einer massiven Eichentür.
    Gebieterisch betätigte sie den Klopfer, und ein
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