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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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Schober, sind Sie da drinnen?«
    Im Zimmer der Direktrice hatte mehrere Tage Licht gebrannt. Gut, das war schon öfters vorgekommen. Die Angestellten der Pension waren es gewohnt, eine Zeitlang ohne ihre Chefin auszukommen, wenn eine neue Lieferung Giftkitsch eingetroffen war. Auch die Stammgäste der Pension Alpenrose wussten von Frau Schobers Leidenschaft, sie wussten auch, wo der Schlüssel hing und vor allem wohin man das Geld stecken musste, nämlich ins tiefe Maul des Jugendstil-Bronzefrosches, dem Gelobten Land außerbuchhalterischer Depots. Doch jetzt hatten die Pensionsgäste schon drei Tage kein Frühstück mehr bekommen. Sie hatten bei der Polizei angerufen.
    »Frau Schober, hören Sie mich?«
    Keine Antwort. Ostler brach schließlich die Tür auf. Das Zimmer war leer, eine Tasse Tee stand halb ausgetrunken auf dem Tisch und schimmelte vor sich hin. Leise liefen
Die schönsten Märsche der Welt
XXIII im Auto-Repeat-Modus. Keine Spur von Margarethe Schober, auch im Speicher nicht, im Garten oder in der Dusche, die so aussah, als wäre sie von Norman Bates gereinigt worden. Ostler durchsuchte, zum hundertsten
Mal, das Zimmer, in dem die Chaoyanger gewohnt hatten. Auch nichts. Ostler durchsuchte nochmals die ganze Villa, im Keller wurde er dann schließlich doch fündig. Der wilde Wein, der die Pension Alpenrose umkränzte, färbte sich schon herbstlich rot, die Abendsonne beschien die Spinnweben, die sich allerorten breit gemacht hatten, und im glitzernden Eis der Tiefkühltruhe lag Dornröschen. Ihre Hände waren zu einer dreiviertelten Blautanne gefaltet. Sie schien zu träumen von
Folgenreichen Küssen
und
Verbotenen Wünschen
. Sie war den Chaoyangern einen Tick zu neugierig gewesen.

    Ein paar tausend Kilometer entfernt von dem verwunschenen Schloss ging die Sondermaschine der International Airline Emirates in den Sinkflug über. Kalim al-Hasid hatte sich entschlossen, den IOC -Präsidenten direkt anzusprechen.
    »Haben Sie eigentlich irgendetwas von den Anschlägen an Ort und Stelle mitbekommen?«, fragte der Araber.
    »Überhaupt nicht«, sagte Rogge. »Ich war mir der Gefahr gar nicht bewusst, ich habe es auch erst aus der Zeitung erfahren. In Zukunft lasse ich mir meine Würstchen wieder bringen, anstatt mich ins Gewühl zu stürzen. Ich hätte nicht gedacht, dass in diesem harmlosen bayrischen Nest Terroristen auftauchen. Das nächste Mal nehme ich meine Rugby-Kluft mit.«
    Dubai legte sich jetzt quer und saugte sich von unten an das Flugzeug. Kalim räusperte sich.
    »Dann ist Chaoyang als Ausrichter der Olympischen Winterspiele 2018 wohl aus dem Rennen?«
    »Die richten die Spiele hundertprozentig nicht aus, da können Sie zehn Kamele darauf verwetten.«
    »Und der bayrische Kurort? Der hat wohl auch keine guten Karten mehr?«
    »Noch ist er im Spiel. Doch das Image wackelt bedenklich.«
    »Und da hätte ich eben einen Vorschlag«, sagte Kalim al-Hasid.
    »Ich ahne es schon«, sagte Jacques Rogge. »Sie bieten Dubai als Austragungsort 2018 an. Da kommen Sie ja fast in Verdacht, die Anschläge begangen zu haben.«
    Kalim lachte herzhaft.
    »Ich beschieße keine Skispringer. Ich kaufe sie.«
    Rogge warf dem Araber einen strengen Blick zu.
    »Wenn das bekannt wird, fällt der Bürgermeister aus diesem bayrischen Kurort in Ohnmacht.«
    »Er fällt nicht in Ohnmacht«, sagte Kalim. »Er weiß es schon. Er erwartet uns.«
     
    Die Maschine setzte jetzt auf dem Rollfeld auf. Jusuf blickte aus dem Fenster und suchte den Horizont gewohnheitsmäßig nach verdächtigen Figuren unter dem Bodenpersonal ab, nach Mechanikern mit ausgebeulten Jacken, nach Fluglotsen, die überhaupt nicht aussahen wie Fluglotsen, nach Stewardessen mit viel zu großen Rollköfferchen, nach Flugkapitänen mit Uniformen aus dem Kostümverleih. Aber was hatte das alles überhaupt noch für einen Sinn? Er hatte als Personenschützer versagt, und dieses Versagen lastete schwer auf ihm. Auch nach einem halben Jahr war er mit der verflixten Geschichte immer noch nicht weitergekommen. Er hatte ein Bild des namenlosen Asiaten im
Zugspitzkurier
gesehen. »Wer kennt diesen Mann?«, stand unter dem Foto. Na,
er
kannte diesen Mann! Das war genau der Mann gewesen, der den Skianorak mit SC
-Riessersee
-Aufdruck getragen hatte und den er beschossen hatte! Jetzt war der Unbekannte bei einem Volksfest wieder aufgetaucht, als lithoklastische Gesteinsablagerung, als ammonitische Volksbelustigung. In der Zeitung stand, dass er erstochen worden war.
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