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Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale

Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale

Titel: Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Autoren: Michael Böckler
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begleitete Eva-Maria, die am Steuer des Fiat Punto saß, die rauchige Stimme des singenden Anwalts aus Asti. Ja, dieser Sonntag im Piemont, er hätte jedenfalls kaum schöner beginnen können.

    Cherubino, der groß und hager war, setzte den zerfransten Hut wieder auf. Dass er jetzt aussah wie eine Vogelscheuche, störte ihn nicht. Er nahm die Schere und fuhr fort, das Laub an den Rebstöcken auszudünnen, um Luft und Licht an die Beeren zu lassen. Außerdem schnitt er komplette Trauben ab, was ihm zwar noch immer schwer fiel, aber er wusste, dass diese Ertragsreduzierung später der Qualität des Weines zugute kommen würde. Zum ersten Mal nämlich wollte er in diesem Jahr den Nebbiolo* seines Weinberges nicht mehr an die große Kellerei in Cherasco liefern, sondern selber vergären, in kleinen Barriquefässern ausbauen und später mit eigenem Etikett auf Flaschen ziehen. Da lohnte sich der Aufwand. Schließlich sollte keiner sagen, dass Cherubino einen schlechten Barolo* mache. Ganz im Gegenteil, er hoffte auf eine Auszeichnung bei einer der großen Verkostungen.

    Eine knappe Stunde später war er erneut am Ende einer Reihe angelangt. Die dort blühende Rose war nicht nur als Zierde gedacht, sie zeigte ihm auch, dass keine Schädlinge am Werk waren. Aber zugegeben, vor allem sah es schön aus, alle Weinbauern, die was auf sich hielten, machten das so. Er blickte den Hang hinauf und zählte die bereits abgearbeiteten Rebreihen. Er konnte mit seinem bisherigen Tagwerk zufrieden sein. Noch drei oder vier Zeilen, dann würde er aufhören und mit seiner Vespa nach Verduno fahren, wo er wohnte. Seine Frau Giuliana, die aus Asti stammte, hatte ihm eine seiner Lieblingsspeisen versprochen: Batsoà, gebratene Schweinsfüße. Dazu eine Flasche Pelaverga* von seinem Schwager Stefano.

    Sabrina fand, dass Eva-Maria zu schnell fuhr, ganz entschieden zu schnell. Mit der einen Hand versuchte sie den Sicherheitsgurt zu schließen, mit der anderen klammerte sie sich an den Griff über der Tür. Die Reifen quietschten und hinterließen in den Kurven schwarze Spuren auf dem Asphalt.

    Cherubino steckte eine unreife Traube in den Mund. Noch ahnte man nur wenig von den unvergleichlichen Aromen, die sie mal entwickeln würde. Ihm gaukelten die Sinne Duftnoten von Schokolade vor, von Pflaumen und Kirschen, Tabak, Rosinen, dazu gesellten sich zarte Veilchentöne und Anklänge von Zimt. Ein Hauch von Teer stieg ihm in die Nase, ja, auch das gehörte dazu. Für ihn gab es unter den Rebsorten nichts Großartigeres als die Nebbiolo-Traube. Ihr Name sollte auf
nebbia
zurückzuführen sein, auf den Nebel, der sich im Herbst über die Weinberge zu legen pflegt. Oder spielte der Name auf den Raureif an? Wie auch immer, jedenfalls war sie nach seiner festen Überzeugung die Königin unter den roten Trauben. Und er konnte sich glücklich schätzen, dass er diesen wunderbaren Weinberg besaß, ideal nach Südwesten ausgerichtet, mit Reben bestockt, die im Durchschnitt fünfundzwanzig Jahre alt waren, mit einem Boden, der über ausreichend Kalk verfügte …

    Cherubino wurde durch ein immer lauter werdendes Motorengeräusch aus seinen Gedanken gerissen. Er wandte den Kopf und blickte hinauf, dorthin, wo oberhalb seines Weinberges die kurvige Straße verlief, die von Monforte d’Alba über Castiglione Falletto nach Grinzane Cavour führte. Er hörte Bremsgeräusche, ein unangenehmes Kreischen, dann folgte ein Schlag. Ein Auto durchbrach die hölzerne Straßenbegrenzung. Er war schon immer der Meinung gewesen, dass dieses morsche Etwas den Namen Leitplanke nicht verdiente. Zunächst sah er vom Fahrzeug nur die Unterseite mit den Rädern, dann kippte es nach vorne und er erkannte, dass es sich um einen blauen Fiat handelte. Alles schien wie in Zeitlupe abzulaufen. Cherubino stand völlig starr da. Jetzt wirkte er tatsächlich wie eine Vogelscheuche, mit dem alten Strohhut auf dem Kopf, die Rebschere in der Hand, zu keiner Bewegung fähig, obwohl das Auto direkt auf ihn zukam. Er registrierte, dass es in der dritten Reihe auf seinen Rebstöcken aufsetzte, diese wie auch alle weiteren in der Falllinie platt walzte, sich dann auf die Seite drehte, um schließlich auf dem Dach durch seinen Weinberg zu pflügen. Der Fiat verfehlte ihn nur um wenige Meter. Gebremst von den Weinreben und den Pfählen, zwischen denen Draht gespannt war, verlor das Fahrzeug an Geschwindigkeit und kam schließlich zum Stillstand. Cherubino rührte sich nicht. Er musste erst
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