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Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale

Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale

Titel: Hippolyt Hermanus 01 - Vino Criminale
Autoren: Michael Böckler
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verarbeiten, dass er die letzten Sekunden überlebt hatte. Mit den Augen folgte er der Spur der Verwüstung. Da würde er wohl auf einige Flaschen Barolo verzichten müssen. Und ihm stand viel Arbeit bevor, sehr viel Arbeit. Er sah wieder hinunter zum verunglückten Fiat. Irgendwo war ein Auto zu hören, weiter weg, immer leiser werdend. Wie still es auf einmal war!

    Cherubino ließ die Rebschere fallen und rannte los. Ihm war plötzlich bewusst geworden, dass sich im Fahrzeugwrack Menschen befinden mussten, zumindest ein Fahrer, hoffentlich keine Kinder. In Filmen explodieren solche Autos häufig, schoss es ihm durch den Kopf. Wann passierte das? Sofort oder erst später? Wie viel Zeit blieb ihm? Er kam ins Stolpern, fiel hin, rappelte sich wieder auf, eilte weiter. Am Auto angekommen, erkannte er, dass das Dach eingedrückt war. Es roch nach Benzin. Die Frontscheibe war herausgebrochen. Cherubino legte sich auf den Bauch, kroch unter die Kühlerhaube und blickte ins Fahrzeuginnere. Er hatte noch nie einen toten Menschen gesehen. Aber dass diese junge Frau hinter dem Lenkrad nicht mehr lebte, das erkannte er sofort. Ihm wurde schlecht.

2
    W ie jeden Morgen war Hippolyt Hermanus hinuntergegangen ins Dorf, um in der Bar Centrale zu frühstücken. Wenn man einen Caffè corretto, der mehr Grappa als Kaffee enthielt, und ein Cornetto als Frühstück bezeichnen wollte. Seit Wochen hielt er an diesem Tagesablauf fest. Auf dem Rückweg würde er bei Franco den
Tirreno
abholen, eine andere Zeitung gab es hier nicht, schon gleich keine deutsche. Zurück im Rustico, würde er etwas im
Tirreno
blättern, später im Garten arbeiten, es vielleicht aber auch sein lassen und es sich schließlich in dem alten Liegestuhl unter dem knorrigen Olivenbaum bequem machen. Am Nachmittag würde er eine CD auflegen, das Buch über die Medici weiterlesen – und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Hipp saß am Tresen und beobachtete Sandro, wie er den Filter aus der Espressomaschine ausklopfte, mit frischem Kaffeepulver füllte und mit einer routinierten Drehbewegung wieder einsetzte. Als sein Blick in den Spiegel hinter der Bar fiel, wurde ihm erst nach kurzer Bedenkzeit bewusst, dass dieser Mann mit dem unrasierten Gesicht, den schulterlangen Haaren und der runden Nickelbrille wohl er selbst war. Er musste sich eingestehen, dass er schon mal besser ausgesehen hatte. Das Einsiedlerleben schien nicht spurlos an ihm vorüberzugehen.
    »Ecco, il caffè!« Sandro stellte die Espressotasse auf die Bar.
    »Grazie, Sandro, molto gentile.«
    Hipp wandte sich von seinem unbefriedigenden Spiegelbild ab und drehte sich auf dem Hocker, sodass er nach draußen sehen konnte, wo unter der Markise einige weißhäutige Touristen in kurzen Hosen saßen. Das war auch nicht gerade ein ersprießlicher Anblick. Gott sei Dank würde er bald den strategischen Rückzug antreten.
    War das sein Handy? Hörte sich ganz so an. Hipp kramte das Gerät, das in Italien liebevoll
telefonino
genannt wird, aus der Hosentasche und betrachtete das Display. Sollte er rangehen? Er hatte keine übermäßige Lust auf Konversation, gab sich aber dann doch einen Ruck.
    »Hermanus«, meldete er sich kurz und knapp mit seinem Nachnamen.
    »Ich bin’s, Karl Talhammer, sei gegrüßt. Bist du in deiner Hütte in der Toskana?«
    Hipp räusperte sich. »Ja, ich mache Urlaub.«
    »Das trifft sich gut, ich hätte da nämlich einen kleinen Auftrag für dich …«
    »Du brauchst gar nicht weiterreden«, unterbrach ihn Hipp, »ich sagte doch gerade, ich mache Urlaub.«
    »Wovon machst du Urlaub? Du hast doch auch vorher kaum gearbeitet.«
    »Mag sein, aber dieses Privileg gönne ich mir.«
    »Seit dieser Sache mit Praunsfeld bist du zu nichts mehr zu gebrauchen.«
    »Möchtest du, dass ich auflege?«, fragte Hipp.
    »Nein, ich möchte, dass du für meine Versicherung einigen Diebstählen nachgehst. In der letzten Zeit sind in Norditalien mehrere Lkw-Ladungen mit teuren Weinen geklaut worden. Sassicaia*, Tignanello* …«
    »Immerhin haben die Diebe einen guten Geschmack«, stellte Hipp lakonisch fest.
    »Leider waren die Fuhren über unsere Tochtergesellschaft in Mailand versichert. Die Polizei kommt nicht weiter. Du könntest dich doch mal umhören. Würde dir gut tun. Zu viel Urlaub bringt auch nichts.«
    »Das ist eine These, die es zu widerlegen gilt. Deshalb werde ich den Urlaub vorläufig fortsetzen. Ich bedaure.«
    »Hippolyt …«
    »Sei mir nicht böse, mein Akku ist leer.
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