Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
nach ihrer Trunkenheit, und es hatte Stunden gedauert, bis sie den Mut aufbrachte,Lidschatten aufzulegen, endlich Farbe auf ihren Lidern. Ein befreundeter Komponist suchte sie auf, er sprach nach der Umarmung
     von der Suppe, die in seinem Magen brodelte, sie hat nach Sumpfgrütze geschmeckt, sagte er – so sprach er manchmal, er hatte
     eine schöne halbvulgäre Art. Und er sagte: Wie soll ich das verstehen, was schon dir schwerfällt, zu verstehen? Er lud sie
     ein, am Abend in die Stadt zu fahren, er verspreche sich nicht viel von dem Auftritt des jungen Kubaners, doch seine Tochter
     würde ihren neuen Freund aus Deutschland mitbringen, und man könnte ja sehen. Die Pockennarben auf seinen Wangen, sie starrte
     darauf und klatschte in die Hände, und er fuhr plötzlich herum und sah lange in den Wald hinein, der leichte Wind trug das
     Geflüster herbei, das Geflüster der Närrchen, und dann kollerten sie wie Truthähne, und es hörte sich wegen ihrer dünnen Stimmen
     an, als würde man zwei Kastanienfruchtkapseln aneinanderreiben.
    Es waren in dem kleinen Kneipenraum viele Mädchen, die dem unteren Volkshaufen entstammten, manch ein Mädchen drehte sich
     nach dem bekannten Komponisten um, sie rechnete fast damit, daß man ihn um ein Autogramm bat. Erdnüsse und Chips wurden in
     der ungeöffneten Verpackung auf Tellern serviert, man mußte am Tresen bestellen. Und dort saß er, der neue Freund, er saß
     auf einem Barhocker zwischen dem Vater und seiner Tochter, und er traute sich nicht, Händchen zu halten mit seiner jungen
     Freundin, wahrscheinlich aus altmodischen Gründen. Vielleicht fühlte er sich begünstigt, vielleicht hatte er das leichte Gefühl
     eines Geistes, der durch Wände gehen kann.
    Er konnte kein Wort Tschechisch, dafür sprach sie ein paar Brocken Deutsch, und sie sagte: Gefällt es bei uns? Und er sagte:
     Es gefällt mir sehr bei Ihnen, danke. Wofür? Sie tat ja nichts dafür, daß der Gast aus Deutschland voller Liebe auf diese
     Stadt Prag blickte. Der Komponist bedankte sich auch bei ihr – wofür? Sie hatte sich doch einfach überreden lassen,sich auf einem Kleinbühnenkonzert zu betrinken. Ein dunkelhaariger braunäugiger Deutscher war schon ein merkwürdiger Anblick,
     und es war auch seltsam lustig, daß er verschämt neben der jungen Frau saß und eine verblichene Jeanshose trug, die ihm nicht
     stand. Der kubanische Sänger sang sich in ein Fiasko, es gab immer wieder Rückkopplungen, sie wurde nüchtern und trank sich
     müde, und die Mädchen aus der Plattenbausiedlung aßen die Chipstüten leer und hörten mit der Zeit auf, im Takt der Musik zu
     wippen. Ihre an den Spitzen ondulierten Haare verstrichen zu Strähnen, die auf den nackten Schultern lagen wie abgeschnittene
     Locken.
    Der Komponist kümmerte sich um sie, er fragte sie nach ihrem Leben im Waldhaus und nach ihren Tagen außerhalb der Stadt, und
     sehr bald – der Kubaner hatte sich in der halbstündigen Pause nach draußen abgesetzt – waren sie in ein Gespräch vertieft,
     in dem es um die Kaufpaläste im Gewerbegebiet ging. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Gast aus Deutschland einen Kuß auf
     die Lippen der Freundin drückte, und sie umschloß seinen Hinterkopf mit der Hand und verlängerte den Kuß. Die Liebe der anderen
     sollte sie nicht bedrücken. (Der Haß, wenn wir es ernst meinen, wenn wir nicht aus nichtigen Gründen hassen, ist eine schöne
     vergängliche Empfindung: Eine Frau hat einen guten Grund, den Mann zu hassen, der glaubt, er könne sie ungestraft verlassen.)
     Der Haß, den die Frau mit den verwisperten Träumen empfand, versickerte in grauen Schlieren in ihr Herz, und deshalb hatte
     sie Herzklopfen, und deshalb trank sie sich jeden Tag besinnungslos, und deshalb aber verlosch sie nicht.
    In den Kaufpalästen gibt es nur Plastikkram, sagte der Komponist, und Polyesterkram, mir steigt in Museen und in großen Supermärkten
     das Blut ins Gesicht, wie ist es bei dir? Ich gehe in kleinen Läden einkaufen, sagte sie, der Kubaner trieb die Musiker zusammen,
     sie sammelten sich auf der Bühne, dann sang der kleine Mann ein altes tschechisches Sehnsuchtslied, die Mädchen waren getröstet, er schmeichelte mit diesem Lied diesen Mädchen, die fünf Minuten lang lächelnd ins
     Ungefähre starrten. (Ein Traum kettet sich an den nächsten Traum, und wenn ein Mädchen zum schönen Lied nicht tanzt und sitzen
     bleibt, wird sie trotzdem begehrt.)
    In dem Saal waren nicht so viele Männer,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher