Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen
Autoren: Anne Kathrine Green
Vom Netzwerk:
angesehener Leute auf dem Spiele steht. Daher nahm es mich nicht wunder, als ich vor drei Tagen zu einer Dame, sagen wir Frau A., gerufen wurde, wegen eines Geschäfts, das die strengste Verschwiegenheit erforderte. Ich beeilte mich, dem Ruf Folge zu leisten, denn Frau A. ist eine hochangesehene Dame, und ihr Mann besitzt Einfluß in weiten Kreisen.
    Frau A. hatte meine Ankunft bereits sehnlich erwartet und teilte mir sofort mit, was sie bekümmerte.
    Sie sehen mich in einem schwierigen Dilemma, HerrGryce, sagte sie, es hat sich in meiner Familie ein Vorfall zugetragen, der uns möglicherweise in Schmach und Schande stürzen kann. Ich brauche Ihre Hilfe, um zu entscheiden, ob unsere Furcht begründet ist oder nicht. Ist letzteres der Fall, so werden Sie vergessen, daß Sie jemals in dieses Haus gerufen worden sind.
    Ich verbeugte mich, im stillen begierig, die Ursache ihrer ungewöhnlichen Erregung zu erfahren. Einen Sohn, der ihr durch seine Ausschweifungen Sorge machen konnte, besaß sie nicht, und ihr Mann war über jeden Verdacht erhaben. Die Dame ließ mich nicht lange im Dunkeln.
    Ich habe eine Tochter, Herr Gryce, sagte sie, es ist unser einziges Kind, das wir immer zärtlich geliebt haben. Hier blickte sie sich ängstlich um, als fürchte sie, belauscht zu werden; sie hat uns verlassen, fuhr sie fort, aber nur wenige Leute im Hause wissen darum; sie ging fort, ohne zu sagen wohin – plötzlich, auf unbegreifliche Weise, nur die notdürftige Erklärung ihres Schrittes hinterlassend – und – und –
    Aber gnädige Frau, unterbrach ich sie, wenn sie überhaupt eine Erklärung zurückgelassen hat, so – –
    Frau A. nahm einen kleinen zerknitterten Zettel aus der Tasche und reichte ihn mir.
    Dieser Brief kam durch die Post, sagte sie. Ich hätte meiner Tochter keine verständige Bitte versagt, wäre sie zu mir gekommen, denn ich war daheim, als sie das Haus verließ.
    Rasch hatte ich die wenigen Zeilen durchflogen; sie lauteten:
    »Liebe Mutter!
    Ich brauche Ruhe. Deshalb gehe ich auf einige Tage fort, werde aber am 27. wieder zurück sein. Mache Dir keine Sorge,
    Deine Dich liebende –,«
    Nun? fragte ich, was ist denn so ungewöhnlich hierbei? Sie sagt, sie werde am 27. zurücksein, und heute ist erst der 24.
    Nie zuvor, erhielt ich zur Antwort, ist meine Tochter von uns gegangen, ohne zuvor unsere Erlaubnis einzuholen. Der Augenblick könnte auch nicht schlechter gewählt sein. Die Einladungskarten zu ihrer Hochzeit, die am 27. stattfinden soll, sind bereits abgeschickt.
    Gryce hielt plötzlich inne – Doktor Kamerun war erschreckt emporgefahren.
    Kein Wunder, daß Sie Anteil daran nehmen, bemerkte der Detektiv in trockenem Tone, da Ihre eigene Hochzeit so nahe bevorsteht.
    Der Doktor hatte sich schon wieder gesetzt; er wandte den Kopf vom Lichte ab, bemüht, seiner Erregung Herr zu werden, während Gryce fortfuhr:
    Noch schien mir kein Grund für Frau A.'s verzweifelte Angst vorzuliegen; ich erkundigte mich daher, ob sie glaube, daß ihre Tochter das Haus verlassen habe, um der bevorstehenden ehelichen Verbindung zu entfliehen.
    Ich weiß nicht, was ich denken soll, erwiderte sie trostlos, meine Tochter ist seit einiger Zeit völlig verändert. Auch meinem Mann ist es aufgefallen. Wir hatten jedoch keine Ahnung, daß sie etwas so Schreckliches beabsichtige. Wohin sie nur gegangen ist? Was wird aus ihr werden? Was sollen wir der Welt sagen? Wie können wir es ihrem Bräutigam mitteilen?
    Sie glauben also –
    Daß sie an vorübergehender Geistesstörung leidet; die Aufregungen der letzten Wochen mögen schuld daran sein. Es wird am Ende nichts übrig bleiben, als zu warten, ob sie zu ihrem Hochzeitstag zurückkommt.
    Hierauf wußte ich nur eine Erwiderung: Warum ziehen Sie ihren Bräutigam nicht ins Vertrauen, teilen ihmIhre Besorgnis mit und versichern sich seines Beistandes, um sie aufzusuchen?
    Die Antwort auf diese Frage überraschte mich:
    Unser und sein Stolz verbieten das, erwiderte die Dame. Bei derartigen Erklärungen würde sicher manches zur Sprache kommen, was für ihn ebenso demütigend wäre wie für uns. Zudem ist die Lage vielleicht weniger verzweifelt, als wir meinen. Die Möglichkeit, daß sie wirklich rechtzeitig zurückkehrt, ist ja nicht ausgeschlossen. Wir müßten dann zeitlebens bedauern, uns ihm gegenüber auf Bekenntnisse eingelassen zu haben.
    Seit wie lange ist Ihnen denn schon die Veränderung im Wesen Ihrer Tochter aufgefallen? fragte ich.
    Erst seitdem die letzten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher