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Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben

Titel: Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
Autoren: Christoph Quarch
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Gefilden
.
Als Anchises sie sah, da fasste ihn wunderndes Staunen
über ihr Ansehn und auch ihre Größe und lichten Gewänder
.
Trug sie doch ein Kleid, das hell wie Feuer erstrahlte
,
reich umwunden mit Schmuck und leuchtenden Ohrgehängen
.
Ihren zarten Nacken umschlang ein köstlich Geschmeide
,
golden und schön und schimmernd in Buntheit, und über den zarten
Brüsten glänzte es gleich dem Mond, ein Wunder zu schauen
.
Eros erfüllte das Herz des Anchises, und also begann er:
„Heil, o Herrin! Wer von den seligen Göttern naht meinem Hause?“
(Homerischer Hymnus
an Aphrodite, 1-93)
     
    So ähnlich ging es mir mit dir. Klar, du warst keine Göttin und ich war kein Ziegenhirt, aber das ist auch nicht der Punkt. Was in diesem alten Lied besungen wird, ist einfach nur das Hingerissen-Sein von einer schönen Frau – von ihrem Leuchten, ihrem Glänzen, ihrem goldenen Strahlen, das alle Aufmerksamkeit auf sich lenkt und so mächtig in das Leben eines Mannes tritt, dass er gar nicht anders kann, als in diesem bezaubernden Wesen eine Göttin zu sehen. Genau das ist der Augenblick der Liebe: der Augenblick, in dem ich von deiner Schönheit so hingerissen bin, dass ich meinen Blick nicht mehr von dir wenden kann; der Augenblick, in dem du zur Göttin wirst, deren Anblick mir zu Bewusstsein bringt, wie kostbar und sinnvoll das Leben ist; der Augenblick, in dem mich eine Ahnung von Ewigkeit und Unsterblichkeit berührt. So sah ich dich. Und so verliebte ich mich in dich.
    Und du, die Frau? – Du, der dieser hingerissene Blick gilt, bist in diesem Augenblick schön. Du strahlst in einem Glanz, den jeder sehen kann.
    Das ist das Wunder des Sich-Verliebens. Und das Wunderbare an diesem Wunder ist: Es geschehen verschiedene Dinge gleichzeitig. Es öffnet das Herz und es öffnet die Augen. Du siehst die Schönheit eines Menschen, und dieser Mensch wird schön. Ich sah die Schönheit in dir, und indiesem Blick wurdest du für mich zur Göttin. Dieses Verwobensein ist der Grund dafür, dass in der antiken Mythologie Aphrodite sowohl die Göttin der Schönheit als auch die Göttin der Liebe ist; und dass sie immer von dem kleinen Knaben Eros begleitet wird. Denn wo Schönheit erscheint, da regt sich die Liebe, die die Alten Eros nannten. Und wo Eros sich regt, da erscheint Schönheit. Schönheit und Liebe kann niemand voneinander trennen.
    Doch damit nicht genug der Wunder. Was ich heute, im Rückblick, als das eigentlich Großartigste des Sich-Verliebens erkenne, ist der Umstand, dass es sich nicht machen lässt. Ich hatte es mir nicht ausgesucht, mich in dich zu verlieben. Und auch du warst nicht mit Kennermine durch die Welt gelaufen, um zu fragen: „Hm, wer ist denn hier so schön, dass ich mich heute in ihn verlieben werde?“ Viele versuchen das zwar, aber es funktioniert nicht. Das verrät viel über ein Missverständnis – als ob sich verlieben so etwas wäre wie einkaufen gehen: Ich suche mir etwas aus, hole es mir und will es dann behalten. Aber du und ich, wir wissen: So funktioniert das Sich-Verlieben gerade nicht.
    Nein, wenn ich mich verliebe, dann widerfährt mir das. Du tratst in meinen Gesichtskreis, und ich verliebte mich – ob ich das nun wollte oder nicht. Es überkam mich. „Es ist größer als ich. Dagegen bin ich machtlos“, haucht in
Gefährliche Liebschaften
der Chevalier de Valmont ein ums andere Mal seiner Holden ins Ohr. Bei ihm ist das eine Floskel, die zuverlässig bei jeder neuen Eroberung einer jungen Dame zum Einsatz kommt, aber gleichwohl verrät sie eine Wahrheit: ES war wirklich größer als ich und du. Plötzlich leuchtete da ein Mensch vor mir auf und lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich; und umgekehrt. Plötzlich waren wir hin und weg – hingerissen, unwiderstehlich angezogen, wie von einer magnetischen Kraft. Unerwartet und oft ungewollt traf ES uns. So wie ein Pfeil aus dem Nichts – weshalb eben Pfeil und Bogen neben den Flügelchen das zweite klassische Requisit des Eros-Knaben sind. „Die Liebe zwingt uns alle in die Knie“, sagt Hölderlin und hat wohl Recht damit.
    Gerade für Menschen wie uns beide scheint mir das eine wichtige Erfahrung gewesen zu sein – überhaupt für alle Macher und Leistungsmenschen: Da geschah etwas mit uns, das wir nicht unter Kontrolle hatten, das sich unserem Wollen entzog. Wir konnten es einfach nur geschehen lassen. Damals verstand ich, warum so viele Romane davon handeln, dass Menschen sich gegen ihren Willen verlieben. Und warum so viele
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