Himmelsschwingen
auf, aber als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte, faltete er seine Flügel hinter dem Rücken zusammen, und seine Miene wurde ernst. »Dein Sam ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. So was überlebt ohne magische Unterstützung nicht einmal ein normaler Engel.«
»Dann hilf ihm doch!« Iris fiel erneut auf die Knie und bettete Samjiels Kopf in ihrem Schoß. »Er hat Erbarmen gezeigt. Ist das denn gar nichts wert?«
»Ich weiß.« Gabriel beugte sich noch einmal herab. »Aha, verstehe! Um ganz sicherzugehen, hat sein liebenswürdiger Chef dafür gesorgt, dass er nicht mehr unsterblich ist. Iris, es tut mir leid. Der General ist Geschichte, und – wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf – die Kollegen sind bereits im Anmarsch.« Er wies nach oben, wo dunkle Schatten über sie hinweghuschten wie hungrige Albträume.
»Iris, lass mich gehen. Ich habe diese Bestrafung verdient.« Schwer atmend hielt Samjiel inne und schloss die Augen.
»Sam! Nein, bleib bei mir!«
»Ach Engelchen, wie gern würde ich … die Regeln!« Sein Kopf rollte zur Seite, und mit weit geöffneten Augen blickte er in den Himmel.
»Gabriel, tu doch was!« Verzweifelt sah sie zu ihrem Wächterkollegen auf.
Ein eigenartiges Licht flackerte in seinen Pupillen, als wollte er ihr etwas mitteilen. Laut sagte er nur: »Furchtbar, wenn unsereins die Unsterblichkeit verliert.«
Und plötzlich wusste sie, was zu tun war. Iris nahm all ihre Kräfte zur Hilfe, rief das Engelsfeuer und legte beide Hände auf den Solarplexus des Sterbenden. Lautlos zählte sie bis drei.
»Jetzt«, befahl Gabriel, der dicht hinter ihr stand.
Nachdem sie tief Luft geholt hatte, sagte Iris kaum hörbar: »Ich schenke dir meine Unsterblichkeit. Bedingungslos und nur von der Liebe getragen!«
Nichts geschah.
Schließlich wiederholte sie ihre Worte mit kräftiger Stimme.
Zuerst blieb alles ruhig. Endlich aber öffnete Samjiel langsam die Augen. Als er sie erblickte, erhellte ein Lächeln sein blasses Gesicht. »Liebes …« Blut quoll ihm aus dem Mund, und er hustete.
Sofort war Gabriel an seiner Seite, hob den Sterbenden auf und öffnete die Schwingen. »Uns bleibt wenig Zeit.« Damit stieg er auf.
Vergeblich versuchte Iris, ihnen zu folgen. Schließlich ließ sie die Arme sinken und sah ihnen nach, bis sie in den dichten Wolken verschwunden waren.
»Gut gemacht«, hörte sie eine Stimme sagen. »Wie wäre es mit einem Ausflug nach Glasgow?«
Leide nschaft, die Flügel v erleiht …
INTERVIEW MIT JEANINE KROCK
Mit ihren bezaubernden Geschichten voll übersinnlicher Romantik und großer Gefühle berührt Jeanine Krock die Herzen Tausender Leserinnen und Leser. Mit ihrer Fantasy-Reihe »Licht und Schatten« hatte sich Jeanine Krock bereits einen Namen gemacht, bevor sie sich mit ihrem großartigen Engel-Epos »Flügelschlag« endgültig an die Spitze der deutschsprachigen Fantastik-Autoren schrieb. Im nachfolgenden Interview gewährt die Autorin einen Blick hinter die Kulissen.
Wie sind Sie Schriftstellerin geworden?
Der Grundstein dazu wurde vermutlich in frühester Kindheit gelegt.Als den Vorlesern in meiner Familie allmählich die Geschichten ausgingen habe ich begonnen, mir neue Abenteuer meiner Lieblingshelden auszudenken. Bald war ich die Erzählerin und andere hörten zu oder wir inszenierten gemeinsam unsere eigenen Theaterstücke.Aufgeschrieben habe ich diese Fantasien leider nicht und später war ich mehr an historischen Kostümen und den Geschichten dahinter interessiert. Nur hin und wieder schrieb ich einen Artikel für eine Fachzeitschrift oder einen Konzertbericht.
Mitte der neunziger Jahre änderte sich das. Ich hatte einen Reitunfall, dessen erfreulichste Spätfolge es sicherlich war, dass ich mit dem Schreiben begann.
In ihrem Roman »Flügelschlag« erzählen Sie die berührende Liebesgeschichte zwischen dem gefallenen Engel Arian und der bezaubernden Ärztin Juna. Was hat Sie zu dieser Geschichte inspiriert?
Die Idee zu »Flügelschlag« kam mir vor einigen Jahren beim Betrachten einer außergewöhnlichen Statue des gefallenen Engels Luzifer in der Kathedrale St. Paul zu Liège in Belgien. Ich musste mich einfach näher mit ihm beschäftigen. Damals arbeitete ich allerdings an anderen Projekten und – Luzifer oder nicht – er und seine himmlischen »Kollegen« mussten noch warten.
Ein Besuch in der erstaunlichen Stadt Glasgow war dann der Auslöser dafür, dass ich mich hinsetzte und das Exposé zu »Flügelschlag« schrieb,
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