Himmelsschwingen
Schwingen, die sich in ganzer Pracht entfalteten, jedem seiner Gegner Furcht ein. »Samjiel, du hast mich enttäuscht! Ergib dich, und ich werde deine Hure verschonen!«
Iris befreite sich aus Sams Armen, richtete sich zu voller Größe auf und öffnete ihre Flügel, die in der Farbe frischen Blutes glühten: »Du kannst mich nicht töten, ich handele in Nephthys’ Auftrag.«
»Und mein Auftrag ist es, die Schöpfung zu bewahren. Wenn du dich einmischst, ist dein Tod nicht mehr als ein Kollateralschaden.« Er bedachte sie mit einem Blick, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Sag du es ihr, Samjiel!«
»Er wird dich umbringen, Iris. Bitte geh, dies ist mein Kampf.«
Sie wusste, dass er die Wahrheit sagte. Michael kümmerte sich nicht um Vereinbarungen, wenn es um den Schutz seiner Regeln ging. Wut und Verzweiflung waren es wahrscheinlich, die ihr trotz des Banns – den er ihr ganz offensichtlich auferlegt hatte – die Kraft gaben, sich zu widersetzen. Blitzschnell formte sie einen Feuerball und schleuderte ihn in seine Richtung.
Damit hatte der Erzengel nicht gerechnet – erst in letzter Sekunde fing er die Kugel auf und sandte sie, verstärkt durch sein eigenes Feuer, zurück. Dabei zeigte seine Miene keinerlei Regung.
Samjiel reagierte dafür umso heftiger. Er stieß Iris grob beiseite und versuchte, das Geschoss aufzufangen. Es durchschlug seine rechte Hand und einen Großteil des Flügels.
Sie wollte ihm zu Hilfe eilen, doch eine unbekannte Kraft zwang sie, im Eingang der Kathedrale Schutz zu suchen, während Samjiel mit hoch erhobenem Schwert auf Michael zustürmte.
»Das war der letzte Fehler, den du begangen hast!« Ihre Klingen trafen mit solcher Wucht aufeinander, dass die Funken den gesamten Platz in ein furchtbares Licht tauch ten. Womit Samjiel nicht gerechnet hatte, war, dass Michael nicht selbst gegen ihn antreten würde. Aus allen Himmelsrichtungen kamen nun Gerechte, um ihren eins tigen Kommandeur zur Strecke zu bringen.
Um an seiner Seite kämpfen zu dürfen, hätte Iris alles gegeben, aber sie konnte nicht einmal die Nase rümpfen, als der Geruch von verbranntem Fleisch zu ihr herüberwehte, oder die Augen schließen, wenn einer der Angreifer Samjiel zu nahe kam. Gebannt beobachtete sie die ungleiche Schlacht. Er kämpfte großartig, doch am Ende fehlte ihm die Kraft, um sich gegen die Attacken einer Armee zu verteidigen, die er selbst geschult hatte.
Mit einer einzigen Handbewegung schickte Michael schließlich seine Untergebenen fort und sah auf den blutenden Engel herab, der einst sein Vertrauter und Weggefährte gewesen war. »Der Lichtbringer würde dich mit offenen Armen willkommen heißen, aber das wäre keine gute Idee; das Nichts wäre deine Erlösung. Doch das wäre zu einfach, nicht wahr?« Angeekelt verzog er das Gesicht. »Deine neu erwachte Liebe zu allem Irdischen hat mich auf eine viel bessere Lösung gebracht.« Mit gezogenem Schwert, die Spitze genau auf Samjiels Brust gerichtet, umrundete er ihn . »Sterblich sollst du sein!«, und bevor Samjiel reagieren konnte, stieß er zu.
Iris schrie auf, endlich lösten sich ihre unsichtbaren Fes seln, und sie rannte über den großen Platz zu Samjiel, stürzte vor ihm auf die Knie, griff nach seiner Hand. In der Ferne hörte sie ein abfälliges Lachen – vier Kupfermünzen fielen herab.
»Feigling!«, schrie sie dem Erzengel hinterher. »Töten kann jeder, doch das Leben zu behüten, das ist die wahre Kunst.« Verzweifelt blickte sie in die Wolken hinauf, doch nichts geschah. »Es ist meine Schuld, so helft ihm doch!«
Nicht ihre Chefin erhörte schließlich ihr Flehen, sondern der ewig alles besser wissende Gabriel. »Habe ich dir nicht gesagt, dass es keinen Sinn hat, sich mit ihm anzulegen?« Elegant landete er neben ihr auf dem regennassen Kirchhof. »Was ist das?« Er sammelte die winzigen Geldstücke ein und betrachtete sie interessiert. »Tolle Rente, die der Geizhals da zahlt: ein halber Obolus.« Er steckte sie ein. Danach kümmerte er sich endlich um Samjiel.
Voller Angst wartete Iris auf seine Diagnose, zu aufgeregt, um über die Bemerkung nachzudenken.
Nach eingehender Inspektion richtete sich Gabriel auf und hielt ihr die ausgestreckte Hand entgegen. »Dem ist nicht mehr zu helfen.«
»Du hast gewusst, wie es ausgeht!« Sie schlug sein Angebot aus und sprang ohne Hilfe auf die Füße.
»Zu viel der Ehre. Ich habe es geahnt.« Wie üblich, wenn er recht behalten hatte, plusterte er sich ein wenig
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