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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition)
Autoren: Maurizio Maggiani
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stehen.
    Mittlerweile nennt Nita ihn bei seinem Namen; denn der Omo Nudo hat einen Namen, nämlich Bresci, und scheinbar erinnert sich niemand mehr daran. Sie, die von außerhalb kommt, scheint die Einzige zu sein, die ihn kennt. Er heißt Bresci mit Vornamen, und das ist nicht leicht zu sagen, doch wenn sie ihn ruft und ihm dabei direkt in die Augen blickt, als wären es die Augen, die seinen Namen erkennen und ihm antworten müssten, sieht man, dass er schüchtern wird. Und dann spricht sie ihn mit Ihr an, einem elegant romanischen Ihr, und das schüchtert ihn noch mehr ein, weil es ihn an seinen Freund William Grover-Williams erinnert.
    »Ihr hattet das große Glück, Bresci, einem der faszinierendsten Menschen des Jahrhunderts, zu begegnen.«
    Nita kennt diesen Mann, den sie so sehr schätzt. Sie weiß, wie er war, bis in die kleinsten Details, und sie hat mir ein Foto von ihm gezeigt. Was man darauf sah, war ein schöner Mann mit finsterem Blick und gebräunten Wangenknochen, er trug einen Lederhelm und rauchte eine braune Zigarette und lehnte an einen Bugatti-Rennwagen. Das Foto war von 1928, und er hatte gerade den Großen Preis von Monaco gewonnen. Und er hatte noch eine intensive und dramatische Geschichte vor sich.
    Nita erzählte mir, dass William Grover-Williams einer jener geborenen Rennfahrer war, die im Leben nichts anderes tun können, als zu schnell zu fahren, und die aus diesem Grund nicht ewig gewinnen können. Doch wenn sie aufhören zu siegen, haben alle Sehnsucht nach ihnen, nach ihrem reinen Mut und ihren wahnsinnigen Heldentaten, zuallererst die anderen Fahrer, und das macht sie zu melancholischen lebenden Mythen. Voller Scham über ihre Niederlagen, noch hungrig nach ihren Siegen, müssen sie von der Piste gehen und sich etwas suchen, für das es sich lohnt zu leben. William Grover-Williams hatte das auf die richtige Weise gefunden, so richtig, dass er wie ein Held daran sterben konnte.
    Er war in Frankreich geboren, als Sohn eines englischen Pferdezüchters, der wegen irgendeiner obskuren Geschichte keinen Fuß mehr nach Ascot setzen konnte, und einer Pariser Kellnerin, die sich vom Zauber seiner Koteletten hatte betören lassen. Als kleiner Junge spielte er mit den Panzerwagen, die als Schrott von der Somme-Front zurückkamen, und ihm gefielen unterschiedslos die einheimischen Motoren wie die Kriegsbeuten; er klaute hier und da ein paar Getriebeteile, mit der verrückten Idee, sich seinen ganz eigenen Motor bauen zu können.
    Eine Woche vor dem Waffenstillstand war es ihm wirklich gelungen. Ihm fehlten nur noch ein Rahmen, ein Lenkrad und ein Platz, wo er sich entsprechend hinsetzen konnte, und an Weihnachten 1918 hatte er bereits alles zusammen. Damit fuhr er über die Straßen von Monte Carlo, wohin seine Eltern gezogen waren, um sich vor der Front in Sicherheit zu bringen, und schlug jeden möglichen und vorstellbaren Rekord. Mit siebzehn Jahren überließ er seinen Vater den Pferden und fing an, für die Reichen der Côte d’Azur Autos einzufahren. Was die Magnate wollten, die mit Kriegsgeschäften Geld gemacht hatten, waren Autos, die ihnen nicht den Schrecken einjagten, der ihnen während des Krieges erspart geblieben war, und dazu war William Grover-Williams absolut nicht in der Lage: Er konnte nur erschreckend unsichere Autos entwickeln. So hatte er sich darauf beschränkt, als Chauffeur zu arbeiten.
    Er fand einen Adligen, der ihn anscheinend zu schätzen wusste; dieser kaufte einen Bugatti, in den er immer weniger einstieg und mit dem sein Chauffeur immer schneller fuhr. Dieser Mann mochte ihn so gern und war so zwielichtig, dass er ihm ein großes Haus am Meer in der Gascogne überließ. Das Haus lag ein paar Kilometer von einer der damals berühmtesten Autorennbahnen entfernt, und in diesem Haus empfing er eine geheimnisvolle Frau, die immer allein und verschleiert an der Tür stand. Diese Frau war wunderschön und voller heftiger Gefühle, die Villa war der Ort, an dem sie die kühnsten und romantischsten Dinge träumen konnten. Nicht zufällig hieß diese Frau Eva. Später erfuhr man, dass sie die Frau seines Wohltäters war, und irgendwann wurde sie auch William Grover-Williams rechtmäßige Gattin. Die Jahre im Haus am Strand der Gascogne waren die Jahre seiner Siege, eine Handvoll wunderbarer Jahre, in denen er der faszinierendste, lachendste, verrückteste Mann aller Rennstrecken Europas war.
    William Grover-Williams war natürlich nicht nur ein Verrückter, er war auch
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