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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition)
Autoren: Maurizio Maggiani
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kleinen Flammen Licht, die aus ihren nach oben gestreckten Fingern kommen: der Votivlampe ihrer Walpurgisnacht. Ich betrachte sie, sehe ihr Licht und begreife, wie Bergbewohner, die nur wenig mehr als Tiere waren, es geschafft haben, eine Geige zu erfinden. Am nächsten Morgen sind die Kekse verschwunden, aber die Diebe sind bekanntlich die Siebenschläfer.
    Auf dieses Feld und hinter diesen Nussbaum kommt der Omo Nudo, um sich zu reinigen, wobei er, wenn er auftaucht, an das Fenster über der Spüle trommelt und auf seine wilde Art darum bittet, eintreten zu dürfen. Bei dieser Gelegenheit nuschelt und gestikuliert er nicht, er ist nur mürrisch, weil er es eilig hat und hungrig ist und weiß, dass sich die Sache in die Länge ziehen wird. An diesem Tag hat er nämlich nicht das Recht, sich in die Küche zu setzen, dem einzigen Platz, an dem er gern isst, sondern er muss im großen Zimmer Platz nehmen, wo der große Tisch aus Kastanienholz für ihn gedeckt ist. Auf diesem Tisch, der das heilige hohe Alter und die Mächtigkeit eines Altars für heidnische Brandopfer hat, feiern wir die Riten für unsere häuslichen Manen: Im Frühjahr lassen wir den Teig für die österliche
pasimata
gehen, im August legen wir die Patronen für die Hirschjagd bereit, Anfang Dezember machen wir Wurst, zum Dreikönigstag bereiten und füllen wir die Tortelli, und um Lichtmess herum decken wir den Tisch für den Omo Nudo. Die Flasche, die Tasse, die große, die, seit ich Kind war, mir gehörte, das Glas, den Löffel. Und die Serviette, denn hier wird eine Zeremonie abgehalten, und wenigstens bei dieser Gelegenheit kann sich der Omo Nudo die Mühe machen, sich den Mund abzuwischen.
    Und in der Art der alten römischen Herrscher dreht sich Nita aus der Küche mit der Urne der dampfenden
Februen
in den Händen und vollführt feierlich den Kreis um das Zimmer herum.
Libera nos a malo
, reinigt, o Februen, dieses Haus von den Schändlichkeiten des Überflusses. Die Suppe verströmt einen dichten und süßen, einen betäubenden Dampf, einen nahrhaften Weihrauch. Aber mehr noch als nach Weihrauch duftet sie nach Erlösung, diese heilige Suppe. Es wurden sieben Kräuter gesucht, gesammelt und zu den durch den Frost süß gewordenen Kartoffeln und der von ihrer Verbannung im Keller gestärkten Zwiebel gelegt, und zwar: Oregano und Bohnenkraut, Gänsedistel und Salbei, Rosmarin, Rucola und Lorbeer. Im nicht mehr glühendheißen Hauch der Kaminglut wurden unter ständigem Aufkochen die Fermente des Dinkels aufgelöst, und heimlich, vor der Fastenzeit verborgen, mit einem guten Stück Schweinespeck angereichert. Denn dieses ehrwürdige Getreide der Bergbewohner ist allein nicht nahrhaft genug, um sie im Winter auf den Beinen zu halten. Und doch machen drei oder vier Teller Suppe, wie Nita sie kocht, den Omo Nudo ausreichend satt.
    Der große Körper eines alten Flüchtlings, nackt und kahlköpfig, als käme er aus den ewigen Gletschern des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Voll heißer Suppe, angetrunken von unserem abscheulichen Wein, springt er auf dem Platz herum und stürzt sich in den Schnee. Und er schwimmt und läuft und hüpft, bis er nur noch eine bewegliche Puppe aus Eiskrusten ist. Dann klettert er auf den Nussbaum, hievt sich auf die erste Astgabel und schüttelt sich das Eis vom Leib. Und singt. Aufrecht und kampflustig, mit einer tragischen Stimme, als würde er um Hilfe rufen, singt er die Hymne, die ihm nachts leise, um nicht auf der Stelle erschossen zu werden, der große Champion William Grover-Williams beigebracht hat.
    Aux armes, citoyens! Formez vos bataillons! Marchons! Marchons! Qu’un sang impure abreuve nos sillons!
    Es wird nicht unser Blut sein, wir haben uns gerade erst an Lichtmess gereinigt; wir sind vielmehr diejenigen, die die Furchen tränken, die Reinen, die marschieren werden.
    Nackt also, ohne ein Haar vom Kopf bis zu den Füßen, und er ist über achtzig Jahre alt. Und stark wie ein Stier hat er es bis hierher geschafft, ohne in seinem Leben je ein Buch gelesen zu haben. Und Nita ist die Einzige im Revier, die es schafft, ihn sich gewogen zu halten. Sie weiß, wie sie ihn nehmen muss: So wie sie alles andere nimmt, und wie sie auch mich nimmt. Wie er seine Schweine nimmt, wenn er ihnen direkt in die Schnauze blickt, und sie ihre Öhrchen zwischen den zerzausten Borsten spitzen und sich mit gesenktem Kopf gutmütig in eine Reihe stellen, wie wohlerzogene Bettler, die für ihre Almosen Schlange
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