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Himmelsfern

Himmelsfern

Titel: Himmelsfern
Autoren: Jennifer Benkau
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froh, dass ich dich wieder mitnehmen kann«, sagte Papa, während er meine Kleidung aus dem Wandschrank nahm und achtlos in den Hello-Kitty-Trolley stopfte. Ein Relikt aus meiner Grundschulzeit, aber wir mussten aufs Geld achten und mit siebzehn war Hello Kitty schließlich fast schon wieder cool.
    Ich zog die Beine aufs Bett, machte es mir im Schneidersitz bequem und musterte meine Zehen. Der Nagellack begann abzublättern. »Habe ich dir gefehlt?«
    Â»Schrecklich. Vor allem der Lärm aus deinem Zimmer, den du Musik nennst. Außerdem kann ich kaum noch einschlafen, wenn nicht die ganze Wohnung nach verbranntem Benzin stinkt.«
    Â»Petroleum«, korrigierte ich und knibbelte mir etwas himmelblaue Farbe vom großen Zeh.
    Â»Und all diese Arbeit.« Papa warf die Schranktür mit einem Knall zu, kam zum Bett und räumte auf Knien den Nachtschrank aus. »Spülen, kochen, Wäsche waschen, bügeln, Fenster putzen, Böden schrubben. Wie schaffst du das bloß alles allein?«
    Â»Du hast das Holzhacken und Wasserschleppen vergessen.«
    Â»Und das Mehlmahlen, Schlachten und Wursten. Wartet selbstverständlich alles auf dich.«
    Â»Wow. Danke.« Ich streckte ein Bein aus und klaubte mir meinen MP3-Player mit den Zehen vom Nachttisch, ehe er bei der sauberen und schmutzigen Wäsche im Trolley landete. »Damit ich nicht glaube, du würdest mich nicht brauchen, und infolgedessen depressiv werde, das Rauchen anfange, Drogen nehme und all das, richtig?«
    Â»Ich sorge mich eben um die Leistungsfähigkeit meiner besten Arbeitskraft.«
    Ich liebe meinen Vater. Wirklich. Wir kannten allerdings beide die Schwierigkeit, das laut auszusprechen, also hatten wir eine Art Code entwickelt. Wir redeten Unsinn und knallten uns Unverschämtheiten an den Kopf, um dem anderen zu zeigen, wie sehr wir ihn schätzten. Das war selten logisch, aber immer lustig – vor allem vor ahnungslosen Zuhörern.
    Ich schlüpfte in meine Sandalen und mühte mich einhändig mit dem Verschluss ab. Papa hatte alles eingepackt und setzte sich neben mich aufs Bett.
    Â»Hast du heute noch etwas vor?«, fragte er.
    Â»Meinst du heute Nachmittag, wenn ich die verdammten Schuhe endlich zubekommen habe?« Ohne meine linke Hand bekam ich das Lederriemchen einfach nicht durch diese winzige Schnalle. »Oder heute Abend, wenn mein Sklavendienst getan ist?« Mir war klar, dass keine Hausarbeit auf mich wartete, aber mein Plan ging auf. Papa grinste endlich. Und jedes Grinsen verwandelte ihn ganz langsam wieder in meinen Vater. Den Vater, den ich kannte, nicht die Alt-und-besorgt-Version, die in den letzten drei Tagen ungefragt seinen Platz eingenommen hatte.
    Â»Ich dachte an jetzt gleich. Hast du Hunger?«
    Dumme Frage. »Hab ich je keinen Hunger?«
    Ich erntete ein »Pff«. Papa, dem gutes Essen über alles ging, fand es ungerecht, dass ich mir den Bauch vollschlagen konnte und trotzdem gertenschlank blieb. Ungerecht fand ich das auch, allerdings eher, weil ich immer noch eine sehr jungenhafte Figur besaß. Das wiederum fand Papa gut, ersparte es mir doch – seiner Meinung nach – Typen, die nur aufs Äußere achteten. Das bedeutet im Klartext: Jungs, wie er in meinem Alter einer gewesen war.
    Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, ein abscheuliches Plastikding. Mama hatte sie vor vielen Jahren bei ihrem ersten Date auf einem Rummel als Trostpreis beim Schießen gewonnen und ihm geschenkt. Es war ein Wunder, dass die Uhr noch immer lief, als würde sie sich über diese Zeit lustig machen. Die Ehe war vor fünf Jahren in die Brüche gegangen, nur die verdammte Uhr war einfach nicht kleinzukriegen.
    Â»Wir haben erst elf«, überlegte Papa laut, »aber wenn du nichts gegen ein zweites Frühstück beim Italiener hast …«
    Â»Perfekt!« Ich begutachtete zufrieden meine endlich geschlossenen Sandalen, meinte mit meinem Kommentar allerdings den Vorschlag, Pizza essen zu gehen. Das kam nicht so häufig vor, aber wenn Papa der Ansicht war, eine überlebte U-Bahn-Katastrophe wäre ein guter Grund, sich etwas zu gönnen, würde ich ihm nicht widersprechen. Mir schauderte, weil ich erneut an die Leute denken musste, die an diesem Tag weniger Glück gehabt hatten als ich. Schon füllte er meinen Kopf wieder vollends aus – der Gedanke an den blonden Mann.
    Für eine Sekunde spielte ich mit der Idee, meinen Vater
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