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Hill, Susan

Hill, Susan

Titel: Hill, Susan
Autoren: Der Menschen dunkles Sehnen: Kriminalroman (German Edition)
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sich wieder auf den Stuhl neben Harrys Bett und nahm seine Hand, rieb sie sanft zwischen ihren Händen, wobei ihr furchtsamer Blick zwischen seinem faltigen, grauen Gesicht und dem von Cat hin- und herflackerte.
    »Nun komm, Harry, schau mal, wer hier ist. Dr. Deerborn kommt dich besuchen, Dr. Cat … Darüber freust du dich doch immer.«
    Cat kniete sich neben das niedrige Bett und spürte die Hitze des Gasfeuers in ihrem Rücken. Über dem Wellensittichkäfig hing ein goldfarbenes Samttuch mit Fransen, und die beiden Vögel waren still.
    Cat konnte nicht viel für Harry Chater tun, aber sie würde auf keinen Fall einen Krankenwagen rufen und Harry zum Sterben wegschicken, vermutlich auf einer harten Rolltrage im Krankenhaus von Bevham. Sie konnte es ihm so angenehm wie möglich machen, das Sauerstoffgerät aus dem Auto holen, um Harry das Atmen zu erleichtern, und bei den beiden bleiben, wenn sie nicht anderswohin gerufen wurde.
    Cat Deerborn war vierunddreißig, eine junge Allgemeinärztin. Sie stammte aus einer vier Generationen zurückreichenden Arztfamilie und hatte die Überzeugung geerbt, dass manche der alten Methoden immer noch die besten sind, wenn es um einzelne Patienten geht.
    »Nun komm, Harry.« Als Cat mit dem Sauerstoffgerät zurückkam, streichelte Iris Chater die eingefallenen Wangen ihres Mannes und redete leise mit ihm. Sein Puls war schwach, sein Atem ging unregelmäßig, seine Hände waren sehr kalt. »Sie können doch etwas für ihn tun, Dr. Deerborn?«
    »Ich kann es ihm bequemer machen. Helfen Sie mir nur, ihn etwas höher zu betten, Mrs Chater.«
    Von draußen drückte der Sturm gegen die Fenster. Das Gasfeuer flackerte. Wenn Harry länger als die nächste Stunde oder so durchhielt, würde Cat die Gemeindeschwester herbitten.
    »Er leidet doch nicht, oder?« Iris Chater hielt immer noch die Hand ihres Mannes. »Das kann doch nicht angenehm sein mit dieser Maske über seinem armen Gesicht.«
    »Dadurch fällt ihm das Atmen leichter. Ich glaube, er hat es so bequem wie möglich, wissen Sie.«
    Die Frau sah Cat an. Auch ihr Gesicht war grau und faltig vor Anspannung, die Augen tief eingesunken, die Haut darunter aufgequollen und lila vor Müdigkeit. Sie war neun Jahre jünger als ihr Mann, eine adrette, energiegeladene Frau, doch jetzt sah sie so alt und krank aus wie er.
    »Das war doch kein Leben mehr für ihn, schon seit dem Frühjahr nicht.«
    »Ich weiß.«
    »Es war ihm zuwider … abhängig zu sein, schwach zu sein. Er hat nicht mehr gegessen. Ich hab es kaum geschafft, ihm mehr als einen Löffel voll einzuflößen.«
    Cat rückte die Sauerstoffmaske auf Harrys Gesicht zurecht. Seine Nase war gebogen und ragte hervor, da die Wangen zu beiden Seiten eingefallen waren. Der Schädel war deutlich unter der fast transparenten Haut zu erkennen. Selbst mithilfe des Sauerstoffs fiel ihm das Atmen schwer.
    »Harry, Lieber …« Seine Frau strich ihm über die Stirn.
    Wie viele solcher Paare gibt es heute noch?, dachte Cat, seit über fünfzig Jahren verheiratet und immer noch zufrieden in ihrer Zweisamkeit? Wie viele aus ihrer Generation würden das durchhalten, alles so nehmen, wie es kommt, weil man das so tat, weil man es versprochen hatte?
    Sie stand auf. »Ich glaube, wir könnten beide eine Tasse Tee vertragen. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich in Ihrer Küche herumkrame?«
    Iris Chater wollte ebenfalls aufstehen. »Du meine Güte, das kann ich doch nicht zulassen, Dr. Deerborn. Ich mach das schon.«
    »Nein«, erwiderte Cat sanft, »bleiben Sie bei Harry. Er weiß, dass Sie bei ihm sind. Er möchte, dass Sie bei ihm bleiben.«
    Sie ging hinaus in die kleine Küche. Jedes Bord, jede Fläche war nicht nur mit dem üblichen Geschirr und Küchenutensilien voll gestellt, sondern auch mit Nippes und Zierrat, Kalendern, Figürchen, Bildern, gerahmten Sprüchen, Honigtöpfen in Form von Bienenkörben, Eierbechern mit lächelnden Gesichtern, Thermometern in Messinghaltern und Uhren mit Blumenmuster. Auf der Fensterbank senkte ein Plastikvogel den Kopf, um aus einem Wasserglas zu trinken, als Cat ihn berührte. Sie konnte sich vorstellen, wie begeistert Hannah davon wäre – fast so sehr wie von der rosa Häkelpuppe, deren Rock die Zuckerdose bedeckte.
    Cat zündete den Gasherd an und füllte den Wasserkessel. Draußen ließ der Wind ein Tor zuknallen. Das Haus passte zu seinen Bewohnern und sie zu ihm – wie Hände in Handschuhe. Wie konnten sich andere über Becher mit Porträts der
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