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Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)

Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)

Titel: Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
Autoren: Agnes Nelle
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Krustenbraten. »Drei dicke Steine mussten sie bei mir bereits zertrümmern. Aber …« Er seufzt inbrünstig. »Was gibt es im Leben, das so viel Freude macht wie eine gute Mahlzeit? Wenn man mal ehrlich ist.«
    Eine gute Mahlzeit.
    Mir würde sie zurzeit nicht die mindeste Freude machen. Obwohl ich doch sonst so gerne esse. Ich schlucke.
    Ich bin alleinstehend.
    So gut wie obdachlos.
    Und ein fades Gewohnheitstier.
    »Ich mag keinen Krustenbraten«, sage ich zu dem Fan fetter Speisen und nehme mir rasch irgendeine Zeitung vom Tisch.
    Psychologie heute. Titelthema: Unsere Möbel – Unsere Seele.
    Toll, das kommt ja wie gerufen! Ich werde mir Möbel kaufen, die auf eine interessante und glückliche Frau schließen lassen, und meine Seele nur noch solchen Einrichtungsgegenständen aussetzen. Ich blättere durch das Magazin. Nachdem ich erstaunlich schnell durch bin, muss ich feststellen, dass keine einzige der wertvollen Anregungen mein Hirn erreicht hat. Stattdessen ertappe ich mich bei Grübeleien rund um die Begriffe fade und Gewohnheitstier.
    »Sie können jetzt diese haben«, sagt der Krustenbraten und streckt mir die Kochzeitung hin, als müsste ich ganz erpicht auf sie sein.
    »Vielen Dank«, antworte ich und nehme sie höflichkeitshalber.
    Eine laute Stimme erklingt aus dem Vorzimmer. Mein Wartegenosse beugt sich sofort gespannt nach vorne und wirft einen Blick durch die halb geöffnete Tür.
    »Da steht ein langer Dünner. Mit lauter Fotoapparaten und so. Der will irgendetwas von der Sprechstundenhilfe«, unterrichtet er die hagere Frau und mich.
    »Hm«, sage ich neutral, um seiner Sensationsgier bloß kein Futter zu geben. Dann erhebe ich mich, ziehe meine Jacke an und hänge meine Handtasche über die Schulter. Offenbar kann Felix ohne Hilfe stehen und sich mit der Sprechstundenhilfe unterhalten. Prima. Dann kann es mit den Nebenwirkungen so schlimm nicht sein.
    »Das ist wohl der verwirrte Herr Feld«, sagt der Gallenpatient erfreut zu der Magenpatientin, die nicht sehr interessiert scheint.
    Er steht auf und setzt sich auf einen Platz, von dem aus er besser ins Vorzimmer schauen kann.
    »Einen schönen Tag!«, wünscht er mir, als ich an ihm vorbeieile.
    »Felix!«, rufe ich erleichtert, denn der macht wirklich einen ausgesprochen lebendigen Eindruck.
    Wie schön.
    Einerseits jedenfalls.
    Andererseits ist es befremdlich, wie ungezwungen er an dem Rezeptionstresen lümmelt und wie laut er mit der Sprechstundenhilfe spricht.
    Er sieht sich nach mir um.
    »Iris!«, ruft er entzückt. »Ich bin sofort bei dir!«
    Seine Stimme klingt wie die eines Betrunkenen.
    Er grinst breit und wendet sich wieder der Sprechstundenhilfe zu.
    »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Feld«, sagt diese in einem Ton, den Erwachsene gerne gegenüber bockigen Kindern anschlagen, solange sie es noch im Guten versuchen. »Auf Wiedersehen und bis Mittwoch! Dann hat der Herr Doktor die Laborbefunde für Sie.«
    »Komm schon, Felix«, bitte ich ihn leise, als ich neben ihn trete. Ich hake mich bei ihm unter und versuche, ihn zum Ausgang zu bugsieren.
    Er rührt sich nicht von der Stelle.
    Stattdessen beugt er sich noch weiter über den Tresen und schaut sich ungeniert auf der Schreibfläche um.
    »Vielleicht haben Sie ja doch einen Kalender für mich«, sagt er mit treuherzigem Blick und betörendem Lächeln zu der Sprechstundenhilfe. »Als kleines Werbegeschenk? Hm?«
    Er lacht erwartungsvoll.
    Ist mir nie aufgefallen, wie wild Felix auf Werbegeschenke ist.
    »Nein. Keinen Kalender.« Die Sprechstundenhilfe ist die Geduld in Person.
    »Oder wenigstens ein paar schicke Kugelschreiber?«, raunt Felix so dreist, dass ich meinen Ohren nicht traue.
    »Nein, leider nicht«, antwortet die Sprechstundenhilfe bestimmt.
    »Und was ist mit dem hübschen grünen da?«, bohrt Felix nach und macht tatsächlich Anstalten, der Frau ihren Kugelschreiber aus der Hand zu schnappen.
    »Felix!«, rufe ich und ziehe noch mal an seinem Arm.
    Er sieht mich verwundert an.
    Ich lehne mich zur Sprechstundenhilfe vor.
    »Was ist mit ihm los?«, flüstere ich beunruhigt.
    »Der Tranquilizer«, flüstert sie zurück, während Felix sich an einem Stapel von Infoblättern zu schaffen macht. Er beginnt, sie emsig in seine Jackentasche zu stopfen.
    »Manchmal kommt es zu einer sogenannten paradoxen Wirkung«, erklärt mir die Sprechstundenhilfe mit gesenkter Stimme. »Der Patient reagiert dann euphorisch. Und enthemmt.«
    Leicht verwirrt, hatte Bruno
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