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Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)

Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)

Titel: Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
Autoren: Agnes Nelle
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Schreibutensilien und Bonbons zum Anbieten (äußerst hilfreich als überraschend humane Geste gegenüber Besuchern des Ordnungsamtes) sowie meinen verschiedenen lustigen Glücksbringern.
    Und meinen drei aktuellen Lieblingsschnappschüssen von Jörg.
    Plötzlich kann ich mich kaum noch zurückhalten, alle drei Jörg-Fotos direkt unter Brunos Augen aus meinem vertrauten Schreibtischensemble zu entfernen. Um sie zu vernichten. Und das am besten auf eine emotional aufbauende Weise.
    Bruno zieht fragend seine buschigen Augenbrauen hoch.
    Inzwischen lächelt er flehentlich.
    O mein Gott!
    Normalerweise hätte ich längst ja gesagt, ich weiß.
    »Kann Felix denn nicht alleine zum Arzt gehen?«, fällt mir plötzlich ein. »Er ist doch erwachsen. Seit geraumer Zeit sogar.«
    Wie alt Brunos Sohn ist, weiß ich gar nicht so genau. Obwohl ich mich nach dem Tod von Brunos Frau vor ein paar Jahren viel um Bruno und Felix gekümmert habe.
    »Natürlich ist Felix erwachsen , Iris. Er ist fünfundzwanzig«, sagt Bruno stolz. »Es ist nur so, dass man nach einer Magenspiegelung auf keinen Fall ohne Begleitung nach Hause gehen sollte.«
    Ach je. Eine Magenspiegelung muss viel schlimmer sein, als ich vermutet habe. Kurz ebbt sogar der Drang ab, in Ruhe über mein ungewisses Schicksal nachzusinnen.
    »Weshalb braucht man nach so einer Spiegelung denn eine Begleitung?«, frage ich Bruno.
    Der stellt sich wieder aufrecht hin und schaut mich froh an.
    »Ich habe das Infoblatt zur Magenspiegelung studiert, das man Felix mitgegeben hat«, erklärt er. »Er bekommt ein Beruhigungsmittel. Einen Tranquilizer. Der entspannt und verhindert, dass er beim Einführen des Untersuchungsschlauchs zu sehr würgt.«
    Vor meinem geistigen Auge sehe ich einen leichenblassen und würgenden Felix in weißem OP -Hemd unter gnadenlos grellen Leuchten, dem ein maskierter Mediziner einen unheimlich langen dunklen Schlauch in den Hals zwingt.
    »Ich soll aber nicht etwa Händchen halten, oder?«, frage ich entsetzt.
    »Nein, nein! Du sollst ihn nur hinterher in Empfang nehmen und nach Hause bringen. Er wird benommen sein. Und auch leicht verwirrt. Von dem Mittel.«
    Benommen. Leicht Verwirrt. Ich sollte Felix wirklich begleiten.
    Ich seufze laut und lange. Bruno schaut ganz erstaunt.
    Ja, ja, er hat recht. Ich seufze sonst nicht auf der Arbeit.
    Und wenn, dann nur leise und knapp.
    »In Ordnung. Ich werde Felix begleiten, Bruno«, sage ich.
    »Toll! Danke, Iris!« Bruno klingt dermaßen erleichtert, dass mir sofort ganz warm wird ums Herz. »Ich sage ihm, dass ihr euch um zwölf Uhr beim Ärztehaus am Markt trefft, okay?«
    Eigentlich wollte ich in der Mittagspause schnell nach Hause fahren und mir was Frisches anziehen, weil Jörg dann nicht da ist.
    »In Ordnung«, sage ich trotzdem noch mal.
    Bruno nickt mir anerkennend zu und verlässt dann zügigen Schrittes mein Amtszimmer, da er sich nun konzentriert seinen Vorgesetztenaufgaben widmen kann.
    Mein Blick fällt wieder auf die drei lächelnden Jörgs vor mir. Ich nehme die gerahmten Schnappschüsse in die ärgerlicherweise leicht zitternden Hände und lege sie zu einer letzten Betrachtung auf die grünliche Schreibunterlage.
    Weiß Gott, das Einzige, was an Jörg nicht attraktiv ist, ist sein Name – seiner scheußlichen Nasen- und Ohrenbehaarung wurde ja bisher kein freier Lauf gelassen.
    Wie oft schon hatte man mir gesagt, was für einen tollen Fang ich doch gemacht hätte. Sicher, wurde dann schnell noch hinzugefügt, ich sei natürlich auch recht attraktiv. Mit meiner netten Figur und den großen dunklen Augen. Mit meiner adretten Kurzhaarfrisur.
    Aber der Jörg – was für ein Mann!
    Ich starre auf die Bilder. Es ist kaum zu fassen. Jörg hat mit Ende dreißig noch keine Falte, während sich auf meiner gleich alten Stirn schon kleine horizontale Furchen erkennen lassen, zu denen sich neuerdings zwei vertikale über der Nasenwurzel gesellen.
    Ich sehe bitter auf das Foto hinunter, das mir das liebste war. Wie gut, dass du mich wegen einer 21-Jährigen verlässt! Mich würden schon in wenigen Jahren aufmerksame Menschen darauf hinweisen, dass du glatt als mein Sohn durchgehen könntest.
    Rasch nehme ich die Bilder aus ihren Rahmen. Dann stopfe ich sie ohne Rücksicht auf weitere Verwendbarkeit in den hässlichen städtischen Papierkorb zu meiner Rechten, der aus der Nähe nach alten Bananenschalen müffelt.
    Bevor ich die eventuelle emotionale Heilwirkung dieser Maßnahme auch nur im Ansatz erfahren
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