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Heyne Galaxy 14

Heyne Galaxy 14

Titel: Heyne Galaxy 14
Autoren: Walter (Hrsg.) Ernsting
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war müde und fühlte sich nicht zum Sprechen aufgelegt. Das Gehen war eine außerordentliche Anstrengung.
    »Du mußt mich besuchen, wenn du wieder solche Wahnvorstellungen hast«, rief ihr Ciabert vom Kirchenportal nach.
    Sie antwortete nicht. Langsam ging sie im hellen Sonnenschein bergab. Ihr Kopf war seltsam leicht, und ihre Füße wollten ihr nicht recht gehorchen. Im nächsten Augenblick rannte sie los, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie lief stolpernd durch die steile Gasse, und aus manchem Fenster blickte man ihr erstaunt nach. Lachend und keuchend bremste sie sich mit beiden Armen an einem Lichtmast ab.
    Ein stämmiger Fuhrmann in seiner blauen Schürze lachte sie offen an. »Was gibt's, Frau?« fragte er.
    »Nichts!« stammelte sie. »Ich bin nur gerade in der Kirche gewesen.«
    »Ah«, sagte er, legte den Finger an die Nase und ging seines Weges.
    Unwillkürlich schlug sie den Weg zu den Kais ein. Die sonnendurchfluteten Straßen waren leer; auch am Hafen war niemand. Sie zog sich aus und sprang ins Wasser, das sie angenehm erfrischte. Als zwei Bäckerjungen über die Kaimauer lehnten und lautstark ihre Anerkennung äußerten, blieb sie ruhig und lächelte ihnen zu.
    Hinterher zog sie sich wieder an und wanderte, naß wie sie war, über die Strandpromenade. Wie trunken begann sie zu singen: »Nimm mich in deine Arme, Liebling, denn wenn die Sonne scheint, ist man gern verliebt…« Das Lied hatten sie an dem Abend gesungen, als …
    Plötzlich fühlte sie sich krank, und sie blieb stehen, die Hand an ihre Stirn gelegt.
    Was war mit ihr los? In ihrem Kopf schien sich alles zu drehen. Sie blickte auf und suchte erregt nach der braunen Gruppe von Gebäuden auf dem Festland.
    Sie konnte Porto nicht sofort entdecken, doch als sie es schließlich erblickte, war es fast unter den Horizont gesunken. Die Insel ließ das Festland hinter sich zurück.
    Abrupt setzte sie sich, die Beine versagten ihr. Sie barg das Gesicht in den Armen und schluchzte. »Klef! Oh, Klef!«
    Die Liebe, die von ihr Besitz ergriffen hatte, hatte wenig Ähnlichkeit mit dem Gefühl, von dem die Lieder sangen. Diese Liebe war eine Art Wahnsinn. Mary machte sich das mit aller Deutlichkeit klar, doch sie konnte nichts daran ändern. Ob sie nun wachte oder schlief – sie konnte nur an Klef denken.
    Ihr Leid hatte sie erschöpft, und ihre Augen waren trocken, und plötzlich sah sie sich mit den Augen der anderen – sah sich als ein seltsames Mädchen, das sich nicht in die fröhliche Gemeinschaft einfügte. Was für ein Recht hatte sie, ihren Schwestern den Spaß zu verderben?
    Sie konnte natürlich wieder in die Kirche gehen und sich in dem ovalen Raum einschließen lassen. »Wenn du wieder diese Wahnvorstellungen hast«, hatte der Priester gesagt. Wenn es nötig werden sollte, konnte sie jeden Morgen gehen und auch jeden Nachmittag.
    Sie dachte an Margret Schneiderin, der es vor einigen Jahren ähnlich gegangen war. Wenn man sie anredete, hatte sie immer nur gelächelt und mit dem Kopf genickt, doch hinter ihren glücklichen Augen schien eine seltsame Leere zu liegen. Es war lange her, doch sie erinnerte sich noch daran, daß sich die Schwestern immer über Margrets schlechte Stickerei beklagt hatten. Mary wußte nicht, was aus dem Mädchen geworden war; andere hatten ihre Arbeit übernommen.
    Sie konnte natürlich auch an ihrem Schmerz festhalten und die anderen damit peinigen, bis sie etwas unternahmen …
    Sie sah sich schon mit bloßen Füßen und zerschlissenem Kleid durch die Straßen laufen, von den hämischen Rufen »Verrückte Mary! Verrückte Mary!« verfolgt. Wenn sie die anderen auf sich aufmerksam machte und sie dazu zwang, ihr Klef zurückzugeben …
    In den nächsten Tagen und Wochen aß sie nur wenig und magerte von Tag zu Tag mehr ab. Ihre Wangen fielen ein und ihre Augen lagen tief in den Höhlen. Den ganzen Tag über saß sie untätig im Hof, bis schließlich auch die anderen Frauen davon beeinflußt wurden. Das fröhliche Geplauder verstummte, und die Mädchen wurden melancholisch. Natürlich litt die Arbeit darunter. Oft machten ihr Vivana und die anderen Vorhaltungen, doch sie konnte ihnen nur die gleichen Antworten geben. Schließlich reagierte sie überhaupt nicht mehr.
    »Aber was willst du denn?« fragten die Frauen gereizt.
    Ja, was wollte sie eigentlich? Sie wollte, daß Klef neben ihr lag, wenn sie abends zu Bett ging und morgens wieder erwachte. Sie wollte wieder den sanften Druck seiner Arme spüren
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