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Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit

Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit

Titel: Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Tiere nach, und hinter ihnen …
    Carradines Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen, als er die beiden aneinander geklammerten Schatten sah. Sein Sohn und Boldwinns Tochter torkelten mit mühsamen, abgehackt wirkenden Bewegungen aus der Tür. Ihre Gesichter waren leer, der Blick ihrer Augen erloschen, ihre Münder standen offen, was ihnen den Ausdruck von Schwachsinnigen verlieh. Die Armee der Spinnen teilte sich vor ihren Füßen, sodass eine schmale, quirlende Gasse entstand, die sich aber hinter ihnen sofort wieder schloss.
    Carradine vergaß die Spinnen, als die beiden nackten Gestalten näher kamen. Langsam, Schritt für Schritt, wich er zurück, unfähig, den Blick von dem leeren Gesicht seines Sohnes zu wenden. Charles’ Augen waren erloschen. Er ist tot, dachte Carradine entsetzt. Tot – oder Schlimmeres. Aber der Gedanke erreichte sein Bewusstsein kaum, sondern verging in der Woge von Entsetzen und Wahnsinn, die sein Denken zu überschwemmen drohte. Er fühlte die harte Kante der Galeriebrüstung in seinem Rücken, spürte, wie er sich weiter und weiter zurückbog, als die Schreckensgestalt, die einmal sein eigener Sohn gewesen war, näher kam, und irgendwo tief in ihm begann eine Alarmglocke zu schlagen, aber auch diese Warnung verhallte ungehört.
    Langsam hob Charles die Hand. Seine Finger deuteten fast anklagend auf Carradine, zitterten, kamen näher und verharrten wenige Zentimeter vor seinem Gesicht reglos in der Luft.
    Eine Spinne krabbelte über seine Schulter, blickte Carradine aus ihren acht stecknadelkopfgroßen funkelnden Augen einen Sekundenbruchteil lang boshaft an und begann dann auf wirbelnden Beinchen über Charles’ Arm auf ihn zuzulaufen. Etwas berührte seine Beine, leicht, tastend, kroch an seinem Knöchel empor und schlüpfte in seine Hose. Carradine stieß einen gellenden, unglaublich schrillen Schrei aus, warf sich zurück und stürzte mit haltlos wirbelnden Armen über das Geländer in die Tiefe.
    Seine Fackel erlosch, als er auf dem Steinboden aufprallte.
     
    »Da is nix zu machen«, sagte Rowlf kopfschüttelnd. Mit einem resignierenden Seufzen ließ er den Vorderlauf des Pferdes los, tätschelte dem Tier mit einer unbewussten Geste den Hals und wandte sich zu uns um. »Der Gaul läuft keine Meile mehr. S’n Wunder, dass er noch nich zusammengebrochn’ is«, sagte er.
    »Verdammt«, murmelte Howard. »Und das ausgerechnet hier.« Er atmete hörbar ein, biss sich einen Moment auf die Unterlippe und sah mit einem gleichermaßen gequälten wie resignierenden Blick die Straße hinab. Vor einer knappen halben Stunde waren die Häuser einer kleinen Ortschaft an den Fenstern des Wagens vorübergezogen; seitdem hatten wir nichts als Wald gesehen. Es war dunkel geworden, und die Bäume säumten die Straße zu beiden Seiten wie eine finstere, undurchdringliche Mauer. Es war kalt.
    »Ich fürchte, wir werden umkehren müssen«, sagte er bedauernd. »Damit dürfte unser Zeitplan über den Haufen geworfen ein. Gründlich.«
    »Umkehren?«, fragte ich. Wir waren praktisch ununterbrochen gefahren, seit wir Glasgow erreicht und den Zug verlassen hatten. Die Vorstellung, auch nur eine einzige der Meilen, die wir so mühsam gereist waren, wieder zurückzufahren, erfüllte mich mit einem instinktiven Widerwillen. Und Howard hatte Recht – unser Zeitplan war ohnehin knapp bemessen. Wir konnten es uns nicht leisten, eine ganze Nacht zu verlieren.
    Howard nickte. »Die Ortschaft, durch die wir gekommen sind«, erinnerte er. »Mit etwas Glück finden wir dort jemanden, der uns ein frisches Pferd verkauft oder leiht. Allerdings ist es schon spät«, fügte er achselzuckend hinzu.
    »Und wenn wir das Pferd abschirren und nur mit einem Zugtier weiterfahren?«, fragte ich.
    »Geht nich«, antwortete Rowlf an Howards Stelle. »Wir sin zu schwer für nur ein Tier. Der Gaul würde bloß schlappmachn’.«
    Howard nickte. »Rowlf hat Recht. Ich möchte nicht mitten auf der Straße liegenbleiben. Komm – helfen wir Rowlf.«
    Diesmal widersprach ich nicht, sondern trat gehorsam neben ihn und seinen hünenhaften Diener und begann die Schirrriemen des Pferdes zu lösen. Die Vorstellung, auf dieser abgelegenen Straße übernachten zu müssen, behagte mir ganz und gar nicht. Ich habe niemals Angst vor der Dunkelheit gehabt oder etwas ähnlich Albernes – aber dieser schwarze Wald, dessen Bäume die Straße zu erdrücken und mit dürren, blattlosen Ästen wie mit schwarzen Armen auf uns herabzugreifen
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