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Hexenzorn

Titel: Hexenzorn
Autoren: T. A. Pratt
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Leiche. Sie wollte seine Wange mit den Fingern berühren, aber wegen des Giftes konnte sie das nicht. Für derartige Emotionen war einfach keine Zeit. Jetzt ging es um ihr Leben und die Sicherheit ihrer Stadt. Nachdem Lao Tsung ihr nicht mehr sagen konnte, wo sich der Grenzstein befand, hatte sie keine Ahnung, wie sie weiter vorgehen sollte. Sie hatte keine anderen Kontakte in der Stadt. Marla seufzte. »Wenn man nicht
weiß, wo man anfangen soll, dann beginnt man am besten ganz oben.«
    »Wie bitte?«, sagte die Schülerin.
    »Ich muss mit dem Oberhaupt von San Francisco sprechen.«
    Die Schülerin schniefte. »So machen wir das hier nicht. Mein Meister ist der mächtigste Zauberer in Chinatown. Eine Hexe namens Umbaldo ist die Chefin von North Beach. Russian Hill, Haight, der Financial District, Mission, Tenderloin, sie alle werden von jemand anderem regiert.«
    »Ach nein«, sagte Marla. »Stelle sich das einer vor! Glauben Sie, die Stadt, aus der ich komme, ist ein homogenes Ganzes? Ich wette, ihr habt hier so eine Art Rat, oder etwa nicht? Irgendein Gremium, das Streitigkeiten schlichtet.«
    »Natürlich«, sagte die Schülerin.
    »Und das bedeutet, es gibt jemanden, der dort die oberste Autorität hat, richtig?«
    Die Schülerin kniff den Mund zusammen. »Ja. Aber es ist ein Amt, nicht eine einzelne Person. Die mächtigsten Magier geben es untereinander weiter, und jeder übt es ein paar Jahre lang aus.«
    »Welch faszinierende Lektion in Verwaltungsrecht! Und wer hat das Amt jetzt inne?« Die Schülerin runzelte die Stirn und sagte nichts. »Je früher Sie es mir sagen«, meinte Marla, »desto früher lasse ich Sie wieder in Ruhe, kann meine Geschäfte zu Ende bringen und von dieser Küste verschwinden, verstehen Sie?«
    »Sein Name ist Finch. Er ist der Boss von Castro.«
    »Wie kann ich ihn finden?«
    »Es ist … nicht so leicht, ihn zu finden. Aber jeden Freitag gibt er bei sich zuhause eine Party. Sie beginnt um neun
oder zehn, aber er ist nicht immer von Anfang an da. Ich habe gehört, dass er gewöhnlich gegen Mitternacht kommt, wenn am meisten los ist.«
    »Heute ist Freitag«, sagte Marla. »Sehr gut. Zeigen Sie mir, wo er wohnt.« Sie nahm einen Stift und zog eine Straßenkarte von San Francisco aus ihrer Tasche. Die Schülerin blickte einen Moment lang prüfend auf die Karte.
    »In dieser Straße«, sagte sie schließlich, und Marla schrieb den Namen und die Hausnummer auf.
    »Gehen Sie zu der Party?«, fragte Marla.
    Die Schülerin schüttelte den Kopf. »Mein Meister hält nichts von solchen Dingen. Sie sind unter seiner Würde.«
    Marla nickte. »Hören Sie, ich bin nicht hier, um irgendjemandem auf die Nerven zu gehen. Ich will nur meine Geschäfte erledigen und zusehen, dass ich aus dieser Stadt wieder rauskomme. Sagen Sie das Ihrem Meister. Sagen Sie ihm, dass er mich nie wieder sehen muss und dass ich die Hilfe zu schätzen weiß.«
    »Mein Meister respektiert Macht«, sagte die Schülerin. »Aber ebenso wenig wie Sie es mögen, warten zu müssen, mag er es, gedrängt zu werden. Es wäre das Beste für Sie, Ihre Geschäfte zu erledigen und die Stadt so schnell wie möglich wieder zu verlassen, sonst könnte mein Meister sich veranlasst sehen, Schritte gegen Sie zu unternehmen.«
    »Ich war schon immer gut darin, mir Feinde zu machen«, erwiderte Marla. »Ich werde Sie jetzt verlassen.«
    Die Tür ging auf, und der Meister kam, von Rondeau geführt, rückwärts herein. »Hey, Marla«, knurrte Rondeau.
    »Du kannst unseren reizenden Gastgeber jetzt loslassen, Rondeau. Wir haben, was wir brauchen.«
    Rondeau blinzelte. »Hmm, naja, aber …«

    »Spar’ dir die Worte. Wir gehen.« Sie packte ihn am Arm und zog ihn hinter sich her durch die Tür. »Mach sie zu. Ich will ihnen nicht den Rücken zudrehen.«
    Rondeau tat, wie ihm befohlen. Marla rannte zum Ausgang und Rondeau dicht hinterher.
    Als sie nach draußen kamen und wie aus dem Nichts plötzlich wieder auf der Straße auftauchten, hätten sie beinahe ein paar Passanten umgerannt. Marla eilte die Straße entlang, um möglichst schnell von dem Laden wegzukommen. Sie blickte zurück und hatte das starke Gefühl, dass ihr jemand folgte, aber die Schülerin und ihr Meister waren nirgends zu sehen. Wahrscheinlich nur die Nerven. Wer außer diesen beiden sollte sie hier verfolgen?
    »Marla, ich versuche dir etwas zu sagen«, drängte Rondeau.
    »Erzähl’s mir beim Abendessen«, antwortete sie. »Wir müssen noch ein paar Stunden rumkriegen, und
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