Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Feuer, in dem dein Vater umkam«, fuhr Cortland fort, »war kein Unglücksfall…«
    »Sagt so etwas nicht zu mir!« brüllte Michael. »Ihr habt das nicht getan! Ich glaube es nicht! Ich akzeptiere es nicht!«
    »… sondern es sollte dich in die richtige Position bringen; du solltest die gewünschte Mischung aus Kultur, Bildung und Charme erwerben, um damit ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen und sie zu veranlassen, ihre Deckung zu verlassen…«
    »Spart euch die Mühe, mit ihm zu reden!« bellte die große Nonne, und die Perlen ihres Rosenkranzes an dem breiten Ledergürtel klapperten. »Er ist unverbesserlich. Überlaßt ihn mir. Ich werde das Feuer schon aus ihm herausprügeln.«
    »Das stimmt alles nicht!« schrie er und versuchte seine Augen vor den lodernden Flammen zu schützen. Die Trommeln dröhnten in seinen Schläfen. »Das ist nicht die Erklärung. Es ist nicht die letztendliche Bedeutung.« Sein Schreien übertönte die Trommeln.
    »Michael, ich habe dich gewarnt.« Das klägliche Stimmchen von Schwester Bridget Marie, die jetzt hinter der brutalen Nonne hervorspähte. »Ich habe dir gesagt, es gibt Hexen in diesen dunklen Straßen.«
    »Komm sofort her und trinke ein Glas Champagner«, befahl Stella. »Und hör auf, diese höllischen Bilder herauf zu beschwören. Begreifst du denn nicht – wenn du erdgebunden bist, schaffst du dir deine Umgebung selbst.«
    »Ja, du machst es hier so häßlich!« klagte Antha.
    »Hier sind keine Flammen«, behauptete Stella. »Die sind nur in deinem Kopf. Komm, laß uns tanzen zu den Trommeln – oh, ich liebe diese Musik inzwischen sehr. Ich mag deine Trommeln, deine verrückten Mardi-Gras-Trommeln!«
    Er schlug mit beiden Armen um sich; seine Lunge brannte, und seine Brust drohte zu bersten. »Ich glaube es nicht. Ihr seid sein Witz, ein kleiner Scherz, eine Täuschung…«
    »Nein, mon chér«, widersprach Julien. »Wir sind die letzte Antwort und der Sinn.«
    Mary Beth schüttelte traurig den Kopf und sah ihn an. »Wir waren es immer.«
    »Den Teufel seid ihr!«
    Endlich war er auf den Beinen. Er riß sich von der Nonne los, tauchte unter ihrem nächsten Schlag hindurch und sprang im nächsten Augenblick durch Juliens sich verdichtende Gestalt. Einen Moment lang war er blind, aber dann war er frei, und er kümmerte sich nicht um das Gelächter und die Trommeln.
    Die Nonnen schlossen ihre Reihen, aber er stürmte hindurch. Nichts würde ihn mehr aufhalten. Er sah den Weg ins Freie, er sah das Licht, das durch die Schlüssellochtür strömte. »Ich will es nicht, ich will es nicht glauben…«
    »Darling, denke doch daran, wie du das erstemal ertrunken bist«, sagte Deborah; sie war plötzlich neben ihm und versuchte seine Hand zu ergreifen. »Wir haben es dir schon einmal erklärt, als du tot warst – daß wir dich brauchten, und du warst einverstanden, aber wir wußten natürlich, daß du nur um dein Leben feilschen wolltest, daß du uns belügen würdest, verstehst du, und wir wußten, wenn wir dich nicht dazu bringen, alles wieder zu vergessen, würdest du niemals erfüllen, was du…«
    Nur noch wenige Schritte bis zur Tür, und er konnte es schaffen. Er stürzte voran, stolperte wieder über die Leiber, die überall auf dem Boden lagen, trat auf Rücken und Schultern und Köpfe, und Rauch brannte in seinen Augen. Aber er kam dem Licht immer näher.
    Und da war eine Gestalt in der Tür, und er kannte diesen Helm, den langen Mantel, er kannte dieses Gewand. ]a, er kannte es, es war ihm sehr vertraut.
    »Ich komme!« rief er.
    Aber seine Lippen hatten sich kaum bewegt.
    Er lag auf dem Rücken.
    Sein Körper war von Schmerz durchzuckt, und Stille umschloß ihn, starr wie Eis. Der Himmel über ihm war schwindelerregend blau.
    Er hörte eine Männerstimme über sich. »So ist’s recht, mein Sohn, Atmen!«
    Ja, er kannte diesen Helm und diesen Mantel, denn es war die Kleidung der Feuerwehr, und er lag am Rande des Pools, ausgestreckt auf den eiskalten Steinplatten. In seiner Brust brannte es, und Arme und Beine taten ihm weh, und ein Feuerwehrmann beugte sich über ihn und preßte ihm die Atemmaske aus Plastik aufs Gesicht und drückte auf den Balg neben sich, ein Feuerwehrmann mit einem Gesicht wie sein Dad, und der Mann sagte noch einmal: »So ist’s richtig, mein Sohn – atmen!«
    Jeder Atemzug durchströmte ihn mit rauhem Schmerz, aber trotzdem sog er die Luft in seine Lunge, und als sie ihn hochhoben, schloß er die Augen.
    »Ich bin hier, Michael«, sagte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher