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Hexenmacht

Hexenmacht

Titel: Hexenmacht
Autoren: Alfred Bekker
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hatte ich diese Gabe mehr oder minder akzeptiert, auch wenn ich noch längst nicht soweit war, damit natürlich umgehen zu können.
    Ich konnte diese Gabe auch nicht gezielt anwenden, weshalb ich es oft mehr als Fluch empfand, wenn mich irgendwelche Bilder aus der Zukunft überfielen, die mir daraufhin nicht mehr aus dem Sinn gingen und mich wie finstere Dämonen verfolgten...
    So wie das Bild jenes bleichen, faltenreichen Gesichts mit den aufgesprungenen Lippen, das mir zum ersten Mal vor Augen gestanden hatte, als ich im Abteil des Nachtzugs den Blutfleck entdeckt hatte...
    Seitdem hatte ich immer wieder an dieses Gesicht denken müssen. Ich erzählte Elizabeth davon, woraufhin meine Großtante leicht nickte.
    "Du solltest darauf achten", erklärte sie. "Ich bin mir sicher, dass dieses Bild etwas zu bedeuten hat und mit deiner Gabe zusammenhängt."
    Natürlich hatte ich ihr auch von dem Toten Sir Gilbert und den rätselhaften Umständen erzählt, unter denen er zu Tode gekommen war.
    Schließlich war das genau die Art von Vorfällen, für die sie sich interessierte.
    Ich berichtete ihr knapp, was ich bislang herausgefunden hatte. Viel war das nicht gerade, aber auch Tante Lizzy war nicht untätig gewesen.
    "Ich habe ein bisschen in meinem Archiv herumgestöbert", sagte sie dann mit leuchtenden Augen.
    Sie fasste mich bei der Hand und nahm mich mit in ihre beeindruckende Bibliothek. Uralte Lederfolianten reihten sich hier mit halbzerfallenen oder mühsam restaurierten Erstausgaben aneinander.
    Mit zielsicherem Griff holte Tante Lizzy einen Band heraus.
    Der Schriftzug auf dem Einband war derart verblichen, dass man ihn nicht mehr lesen konnte.
    "Was hast du da?", fragte ich meine Großtante.
    "VON DEN GEISTERN DER KÄLTE heißt diese Abhandlung. Sie wurde von einem Spanier namens Alfonso Reyes de Aranjuez um 1900 herum verfasst. Dies ist die einzige englische Ausgabe, die 1903 erschien und in einer Auflage von gerade einmal hundert Exemplaren herausgebracht wurde. Seitdem ist das Buch nie wieder aufgelegt worden. Und der Autor, ein seinerzeit recht bekannter spanischer Okkultist, verfiel in den zwanziger Jahren dem Wahnsinn. Er verbrachte den Rest seines Lebens in einem Sanatorium in Santander."
    "VON DEN GEISTERN DER KÄLTE...", murmelte ich und nahm dabei Tante Lizzy den Band aus der Hand.
    Der Titel brachte irgendeine Saite in mir zum klingen.
    Eine Ahnung...
    Ich blätterte ein bisschen in dem Band herum. Er enthielt auch eine Reihe scheußlicher Abbildungen. Alfonso Reyes de Aranjuez schien ein detailverliebter Mann gewesen zu sein.
    "Reyes berichtet in seinem Buch von Todesfällen mit den gleichen Begleitumständen, wie du sie mir von Gilbert Goram erzählt hast", hörte ich Elizabeth mit ernstem Tonfall sagen.
    "Menschen, die man für Erfrierungsopfer halten könnte, wenn die äußeren Umstände ihres Todes dies nicht ganz und gar ausschließen würden. Unter den dokumentierten Fällen sind übrigens einige die den Namen Goram tragen und offensichtlich Vorfahren des Toten aus dem Zug sind..."
    Ich nickte leicht.
    Dann fragte ich: "Hat dieser Spanier irgend eine Erklärung für das alles?"
    "Ja."
    "Und welche?"
    Tante Lizzy zögerte.
    "Sie wird dir weder gefallen, noch dich zufriedenstellen, Patti."
    "Wie lautet sie?"
    "Reyes de Aranjuez glaubt, Beweise dafür gefunden zu haben, dass die Opfer Begegnungen mit den Geistern Verstorbener hatten."
     
    *
     
    Ich konnte nicht schlafen in dieser Nacht. Immer wieder hatte ich mich im Bett herumgewälzt und immer wieder hatte mir dabei jenes bleiche Gesicht vor Augen gestanden, das mir zum ersten Mal in jenem Zugabteil erschienen war, in dem Sir Gilbert Goram das Zeitliche gesegnet hatte.
    Schließlich gab ich es auf.
    Ich setzte mich im Bett auf.
    Von draußen schien das Mondlicht herein und tauchte alles in ein geisterhaftes, fahles Licht.
    Dann stand ich auf und ging barfuß und im Nachthemd ins Nebenzimmer.
    Auf einem kleinen Tischchen hatte ich den Band des wahnsinnig gewordenen Spaniers abgelegt. Ich nahm ihn jetzt an mich, machte dann Licht und setzte mich in einen großen Ohrensessel, der schon zu meinen Sachen gehört hatte, als ich noch ein Kind gewesen war.
    Wenn ich schon nicht schlafen konnte, dann wollte ich die Zeit zumindest sinnvoll nutzen.
    Ich vertiefte mich in das Buch dieses Alfonso Reyes de Aranjuez, das in einem äußerst umständlichen Stil geschrieben war, der mich schnell ermüdete. Man musste sich schon sehr konzentrieren.
    Als ich
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