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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind
Autoren: Sabine Thiesler
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eben.«
    »Ist es krank?«
    »Nein. Es geht ihm hervorragend. Elsa ist eben gerne laut. Das ist ihre Natur, und das ist alles. Schönen Tag noch.« Einen Moment verharrte sie und sah ihm in die Augen. Dann schloss sie die Tür.
    Romano stand im Hausflur und war wütend. Dieses kleine Biest war also ein Mädchen.
    In den nächsten Tagen änderte sich gar nichts. Das Geschrei hielt unvermindert an. Romano fragte sich, wie die Frau das aushielt. Jeder normale Mensch würde bereits nach drei Tagen am Rande des Nervenzusammenbruchs stehen.

    Ab und zu hörte er, wie sie sich mit einem Mann stritt. Sie brüllten sich an, und wenn der Streit zu Ende war, schrie das Kind weiter.
    Romano wusste, dass er dies nicht mehr lange ertragen konnte. Schweren Herzens versuchte er sich an den Gedanken zu gewöhnen, wieder eine neue Wohnung suchen zu müssen.
    Bis es eines Nachts an seiner Tür klingelte.
    Romano schreckte aus dem Schlaf, grunzte verwirrt, blinzelte und sah auf die Uhr. Viertel nach zwei. Er glaubte schon, sich verhört zu haben, aber in diesem Moment klingelte es erneut. Anhaltend und drängend. Romano schlüpfte in seine Jeans, die neben dem Bett auf der Erde lag, streifte ein T-Shirt über, ging in den Flur und guckte durch den Spion.
    Vor seiner Tür stand die Frau, die er beinah nicht erkannt hatte. Ihre Augen waren verschwollen, ihre Lippe aufgeplatzt, und sie hatte eine Platzwunde an der Stirn. Den Schreihals trug sie auf dem Arm. Das kleine Biest hatte den Kopf an den Hals seiner Mutter gelehnt und sah aus, als könne es kein Wässerchen trüben.
    Er machte die Tür auf. Sie trat sofort ein und sagte: »Danke.«
    Romano öffnete die Tür zum Wohnzimmer. »Hier.«
    Sie nickte und setzte sich mit dem Kind auf die Couch. Ansonsten gab es in diesem Zimmer nur noch einen Fernseher, einen Ghettoblaster und einen Stapel italienischer Sportzeitschriften. Mehr nicht. An der Wand zwei Landschaftsfotos von der Toskana. Eine Luftaufnahme von der Piazza del Campo in Siena und ein toskanisches Landhaus mit einigen Zypressen bei Nebel auf einem Hügel.

    »Ich heiße Sarah«, sagte sie mit Mühe und kontrollierte, ob irgendwelche Zähne in ihrem Mund wackelten. »Und du?«
    »Romano.«
    Sie nickte. »Gefällt mir, deine Wohnung. Hier wirkt alles so friedlich. Du hast wenigstens keine Probleme.«
    Romano zuckte nur mit den Achseln. »Willst du trinken?«
    »Gern. Irgendwas Alkoholisches. Bier oder Wein oder auch Schnaps, wenn du hast.«
    Romano ging in die Küche und kam mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern wieder.
    »Was ist los? Was ist passiert?« Er öffnete den Wein, schenkte ein und beobachtete, was Sarah tat. Sie legte Elsa auf die Couch neben sich, zog ihre Jacke aus, deckte Elsa damit zu und holte aus ihrer Jeanstasche eine zerknickte Schachtel Zigaretten, die sie Romano hinhielt.
    Romano schüttelte den Kopf. Sarah nahm es zur Kenntnis und zündete sich eine Zigarette an, deren Rauch sie hörbar tief inhalierte.
    »Mein Freund ist drüben. Er ist Musiker und normalerweise ganz gut verträglich, aber er rastet auch ab und zu aus.«
    Romano erinnerte sich, dass er oft Musik aus der Nachbarwohnung gehört hatte, was er angenehm fand, denn dann schonte das kleine Biest seine Lungen.
    »Vielleicht liegen seine Anfälle auch an Elsa«, fuhr Sarah fort. »Kann ja sein. Heute kam er nach Hause und war völlig zugedröhnt. Total dicht. Er hat mich zusammengeschlagen.« Sie berührte vorsichtig ihr ramponiertes Gesicht. »Als er im Schlafzimmer getobt und das Bettzeug zerschnitten hat, bin ich mit Elsa abgehauen. Dass ich hier
bin – da kommt er nie drauf. Er kennt dich ja gar nicht, und ich hab dich ja eigentlich bis heute auch nicht gekannt.« Sie lächelte gequält.
    Romano erwiderte das Lächeln, obwohl er von all dem, was sie gesagt hatte, höchstens ein Drittel verstanden hatte. »Mein Freund« hatte er verstanden und »zusammengeschlagen«. Den Rest konnte er sich zusammenreimen. Er gab Sarah ein Glas Wein.
    »Hier ist sicher«, sagte er.
    »Ich hab Angst«, flüsterte sie, während sie kontinuierlich in kleinen Schlucken trank. »Ich trau ihm nicht mehr über den Weg. Irgendwann bringt er uns um. Er verliert die Kontrolle von einer Sekunde auf die andere. Ohne Vorwarnung. Und dann musst du sehen, dass du dich in Sicherheit bringst. Kannst du dir vorstellen, was das für eine Scheiße ist?«
    Romano nickte. »Angst« hatte er verstanden, »Kontrolle« und »Scheiße«, und es war ihm völlig klar, was sie erklären
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