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Hexenheide

Hexenheide

Titel: Hexenheide
Autoren: aerts
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so, als ob die Heide gefährlich wäre. Wir sind immer über die Heide gelaufen, schon seit wir sechs Jahre alt sind. Und passiert ist trotzdem nichts, oder?«
    »Nein …« Karim zögert. »Nein … wir sind nie jemandem begegnet.« Er wirft noch einen Blick auf seine durchgeweichten Turnschuhe und zuckt dann mit den Schultern. »Also dann mal los, je früher ich zu Hause bin, desto besser. Dann kann ich die nassen Dinger zumindest an die Heizung stellen.«
    Aber als sie kurz darauf über die stille Heide laufen, müssen sie beide vor Nervosität ein bisschen kichern, und unbewusst werden ihre Schritte immer größer und schneller.
    Ein bleigrauer Himmel hängt schwer und düster über ihren Köpfen und lässt die im Sommer so fröhlich violette Heide fahlbraun aussehen.
    Karim muss an das Foto von Rinnie denken. Es hängt an der Pinnwand hinten im Klassenzimmer, und alle Kinder haben etwas dazugetan. Gedichte, die sie selbst geschrieben haben, Briefe mit ihren Wünschen, sie solle doch irgendwann wieder unversehrt nach Hause zurückkommen, Bilder, die sie für sie gemalt haben, voller knallbunter Blumen, in der Hoffnung, damit die Mutlosigkeit zu bekämpfen.
    Sie war plötzlich, von einem Tag auf den anderen, verschwunden, und niemand weiß, was eigentlich mit ihr passiert ist.
    Dasselbe Foto war auch in der Zeitung gewesen. Jorinde Munter hatte in kleinen schwarzen Buchstaben darunter gestanden. In der Schule hieß sie Rinnie, so nannte sie da jeder.
    Karims Füße werden noch etwas schneller.
    »Nicht so schnell!«, beschwert sich Lenne. »Ich komme da nicht mit!«
    Karim blickt beharrlich nach vorne zu dem Birkenwald vor ihnen, durch den sich der Weg schlängelt, den sie früher immer genommen hatten. Kann er Lenne noch vorschlagen, zurückzugehen und normal über die Straße zu laufen? Nein, dann findet sie ihn bestimmt schrecklich kindisch und hält ihn für einen Angsthasen.
    Plötzlich bricht ein einsamer Sonnenstrahl durch die Wolkendecke, und die weißen Birkenstämme und gelben Blätter leuchten auf, als ob sie Kulissen einer Bühne seien, auf die jemand sein Spotlicht richten würde. Karim bricht in Lachen aus.
    »Was ist denn?«, fragt Lenne überrascht.
    »Nichts«, meint Karim lachend. Erleichtert schaut er sich um. Alles sieht auf einmal ganz anders aus. »Da muss irgendwo ein Regenbogen sein. Es regnet, und gleichzeitig scheint die Sonne.«
    »Ich sehe nichts«, sagt Lenne. »Siehst du irgendwo einen Regenbogen?«
    Karim schüttelt den Kopf.
    Als der Himmel sich nach ein paar Minuten wieder zuzieht und die Sonnenstrahlen sich hinter der Wolkendecke verstecken, haben sie das Birkenwäldchen zum Glück bereits hinter sich.
    »Fast zu Hause«, sagt Karim und gibt Lenne einen spontanen Stoß in den Rücken. »Komm, los, wer zuerst bei mir an der Haustür ist!«

2
     
     

     
     
     
     
     
    Am nächsten Tag gehen Lenne und Karim wieder über die Heide, und gegen Ende der Woche ist es für sie fast wieder normal geworden, genauso wie früher den kürzeren Weg zu nehmen. Doch sie sind klug genug, das niemandem zu erzählen.
    »Meine Mutter würde einen Koller kriegen, wenn sie das wüsste«, sagt Lenne und sieht sich schnell noch einmal um, bevor sie über den Stacheldraht steigt. Niemand da, der sie beobachtet?
    »Und meine erst.«
    »Zum Glück haben wir keine reichen Eltern.«
    Karim macht ein verwundertes Gesicht. »Was hat das denn damit zu tun?«
    »Na, Rinnies Familie hat total viel Geld. Die haben doch die ganzen Läden!«
    »Ja und? Es ist doch gar kein Brief wegen Lösegeld oder so gekommen. Bei einer solchen Entführung kommt doch immer einer von diesen Briefen, das weißt du doch, dass man irgendwo einen Sack mit Geld hinlegen muss, sonst kriegt man sein Kind nicht wieder. Bei Rinnie war das nicht so.«
    »V ielleicht kriegen wir solche Sachen nur nicht zu hören«, meint Lenne. »Die erzählen uns doch nicht alles.«
    »Ich hab auch nichts davon in der Zeitung gelesen. Da ist es nirgends um Geld gegangen.«
    »Hast du die Matheaufgaben schon alle fertig?«, wechselt Lenne schnell das Thema. Sie hat überhaupt keine Lust, über Rinnie zu reden, wenn sie gerade über dieses einsame Stück der Heide gehen.
    »Nein.«
    »Wollen wir diese langweiligen Hausaufgaben nicht gleich zusammen machen?«
    »Bei mir zu Hause oder bei dir?«
    »Bei dir«, sagt Lenne. »Dann kriege ich wieder den leckeren Tee von deinem Vater. Außerdem hilft er immer bei diesen blöden Aufgaben, das macht meine Mutter
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