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Hexenheide

Hexenheide

Titel: Hexenheide
Autoren: aerts
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hätte der Ast Karim im Nacken getroffen.
    Mit ängstlichen Augen gucken sich die beiden einen Moment lang an und rennen dann gleichzeitig los. Ohne ein Wort zu verlieren, laufen sie, bis sie die Heide hinter sich gelassen haben und vor dem Holzzaun bei Karims Haus stehen.
    Mit zitternden Knien klettern sie über den Zaun.
    Als sie auf dem Gartenweg zur Haustür gehen, fangen beide an zu kichern.
    »Was war das denn jetzt?«
    »Woher soll ich das wissen? Einfach ein dummer Zufall!«
    »Mann, hast du eine Angst gehabt!«
    »V on wegen! Du hast selbst Angst gehabt.«
    »Quatsch. Ich hab mich nur erschrocken.«
    »Ja, ich auch.«
    Schulterzuckend gehen sie ins Haus.
     
    Lenne trinkt den glühend heißen Tee in kleinen Schlucken. An der Tasse wärmt sie sich die Hände.
    »Papa«, fragt Karim, »weißt du, ob es auf der Heide Eichhörnchen gibt?«
    »Auf der Heide? Ihr seid doch nicht etwa auf der Heide gewesen?«
    Lenne schneidet Karim eine Grimasse. Blödmann! Warum fängst du jetzt mit der Heide an?
    Karim beugt sich schnell vor, um einen Bleistift aufzuheben, der ihm zuvor runtergefallen ist. Seine Wangen glühen. Wenn er das abstreiten will, muss er knallhart lügen. Als er sich wieder aufrichtet, sagt er: »Ich frag doch nur, ob es da Eichhörnchen gibt!«
    In diesem Augenblick kommt seine Mutter ins Wohnzimmer. Sie hat ihre Jacke noch an. »Hab ich euch über die Heide reden hören?«, fragt sie ihren Mann stirnrunzelnd, während sie sich mit einer ungeduldigen Handbewegung eine hellblonde Locke aus der Stirn streicht.
    »Lass mal!«, ruft Karim und wedelt verärgert mit den Händen durch die Luft. »Ich frag doch nur, ob es hier in der Nachbarschaft Eichhörnchen gibt.«
    Seine Mutter wirft ihre Jacke über einen Stuhl. »Ist für mich auch noch Tee da?«
    Karims Vater gießt ihr eine Tasse ein. »Bist du müde? War auf der Arbeit wieder so viel zu tun?«
    Lenne und Karim sehen sich an. Zum Glück beginnt Karims Mutter stöhnend von dem Druck zu erzählen, unter dem die Krankenhausabteilung steht, in der sie arbeitet, und keiner der beiden Eltern kommt auf Karims Frage zurück.
    Lenne beugt sich über ihr Heft und schreibt etwas. »Kommt bei deiner Rechnung dasselbe raus?«, fragt sie und schiebt Karim ihr Heft hin.
    Karim liest, was da steht: TROTTEL! Er grinst. Und doch hätte er gerne eine Antwort auf seine Frage gehabt. Hatte er sich das Eichhörnchen vielleicht doch nur eingebildet?
     
    Als Karim abends in seinem Bett liegt, fällt es ihm schrecklich schwer, sich auf sein Buch zu konzentrieren. Es will einfach nicht funktionieren. Gestern Abend fand er die Geschichte noch so spannend, und jetzt interessiert ihn die ganze Handlung überhaupt nicht mehr.
    Er legt das Buch weg und knipst die Nachttischlampe aus. Auf dem Rücken liegend starrt er ins Dunkel. In seinem Zimmer ist es nicht so stockfinster, dass er nichts mehr sehen könnte. Durch das Licht der kleinen Laternen, die neben dem Gartenweg stehen und einen schwachen Schimmer an seine Zimmerdecke werfen, kann er die Gegenstände im Raum gerade noch erkennen.
    Warum hatten sie heute Mittag eigentlich solche Angst, Lenne und er? Es war doch gar nichts passiert, oder? Ein Knacken von brechenden Ästen und Zweigen hört man oft im Wald. In der Natur leben so viele Tiere, die man meistens nicht sieht, wohl aber hört. Nichts, um sich davon erschrecken zu lassen.
    Karim weiß nun wirklich nicht mehr, ob er tatsächlich ein Eichhörnchen gesehen oder sich das nur zusammenfantasiert hat. Ein paar Sekunden später, als er zwischen den Bäumen stand, konnte er das kleine Tier nirgends mehr entdecken. Er hatte auch nicht wirklich ein Eichhörnchen erkannt, sondern aus dem Augenwinkel wahrgenommen, wie sich etwas Rotbraunes bewegte, das wie der Blitz hinter einem Baumstamm verschwunden war.
    Der schwere Ast, der heruntergebrochen war – das war schon verrückt. Aber im Herbst passieren solche Dinge schließlich immer wieder. Pech, dass er gerade druntergestanden hatte. Oder in jedem Fall druntergestanden hätte, wenn Lenne nicht gewesen wäre.
    Lenne … ja, Lenne hatte sich schon seltsam benommen. Da konnte einem doch mulmig werden …
    Oder hatte sie ihn auf den Arm nehmen wollen? Das sähe ihr ähnlich. Karim lacht leise. Wetten, dass sie ihn mit ihrem eigenartigen Flattern der Arme und den verdrehten Augen einfach zum Narren gehalten hatte? Oder vielleicht war ihr vom Starren in die Blätter, die sich oben über ihrem Kopf bewegten, auch etwas schlecht
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