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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold
Autoren: Heidi Rehn
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Kaufmann, auf offener Straße unterwegs. Nicht auszudenken, wenn sie einer der Kneiphofer Bürger dabei beobachtete! Es ziemte sich nicht, wie nah Helmbrecht ihr während der Unterhaltung gekommen war.
    »Ihr geht sicher hinüber in die Altstadt. Oder habt Ihr eine Herberge in Löbenicht genommen? Mich müsst Ihr nun entschuldigen. Meine Tochter macht sich gewiss schon Sorgen. Mein täglicher Gang zum Grab meines geliebten Gemahls dauert heute ungewöhnlich lang. Aber so ist das nun einmal, wenn einem angesichts der frisch eingemeißelten Buchstaben auf dem Epitaph die schreckliche Tatsache bewusst wird, den liebsten Menschen auf Erden für immer verloren zu haben. Gott schenke ihm eine fröhliche Auferstehung!«
    »Und Euch die Gewissheit, sie an seiner Seite zu erleben«, ergänzte Helmbrecht. Schon meinte sie, damit wollte er es bewenden lassen und sich verabschieden, da machte er nach wenigen Schritten noch einmal kehrt, fasste sie an den Händen und sah ihr tief in die Augen. »Das muss aber nicht heißen, dass Ihr ihm bald folgen sollt. Den Bernstein, der Euch wieder zu ihm führt, tragt Ihr nach wie vor um Euren Hals, wie ich sehe.«
    Sie nickte, auch wenn es sich nicht mehr um denselben Bernstein handelte. Das zu erklären würde zu weit führen. Es reichte, dass Helmbrecht Kenntnis von dem guten Stück hatte. Bislang war sie der Meinung gewesen, er wusste nichts von dem Liebespfand.
    Er ließ ihre Hände los, griff in die Taschen seines Rocks und zog einen taubeneigroßen Bernstein heraus. Stolz hielt er ihn gegen das Licht. Er war von bester Qualität, schimmerte honigfarben und damit nur eine winzige Spur heller als seine Augen. Klar und rein fanden sich weder Blasen noch Risse in dem Stein. Das eingeschlossene Insekt war von erstaunlicher Größe und völlig intakt.
    »Ein Prachtstück«, lobte Magdalena anerkennend. Die ersten Wochen ihres Daseins als Bernsteinhändlerin hatte sie genutzt, sich von alteingesessenen Zunftgenossen in das Geschäft einführen zu lassen. So wusste sie vom bloßen Ansehen, welch besondere Güte diesem Exemplar zukam. Bezahlbar war es wohl kaum.
    »Er gehört Euch.« Helmbrecht nutzte den Moment der Überraschung, legte ihn ihr in die Hand und schloss ihre Finger fest darum. Beglückt spürte sie die Wärme des Steins. »Natürlich kann er nicht im Geringsten an jene Kraft heranreichen, die Euch der Bernstein Eures verstorbenen Gemahls einst geschenkt hat. Doch er mag Euch eine Gedächtnisstütze sein, damit Ihr nicht vergesst: Auch wenn Euch das Schicksal übel mitgespielt und die liebsten Menschen auf Erden dahingerafft hat, so gibt es stets Hoffnungsschimmer am Horizont, wie auch immer wieder neue, faszinierende Bernsteine auftauchen. Ihr seid nicht allein. Ihr werdet jemanden finden, der Euch ähnlich treu zur Seite steht, wie Euch einst Euer Gemahl zur Seite gestanden hat. Die Liebe stirbt nie, genauso wenig wie die Hoffnung darauf je erlischt.«
    Er beugte sich vor und küsste ihre Finger, die den kostbaren Stein umschlossen hielten.
    »Danke«, hauchte sie und befreite sich sanft aus seiner Hand. »Ich werde diesen Stein in Ehren halten. Seine Farbe hat Ähnlichkeit mit der Eurer Augen. Unergründlich wie die Tiefen des Bernsteins scheinen mir auch Eure Augen als Spiegel Eurer Seele zu sein.«
    »So darf ich denn hoffen?« Noch einmal legte er seine Hand auf die ihre. Ein leichtes Zittern war darin zu spüren. Sie lächelte, als sie sich ihm entzog.
    »Wie sagtet Ihr eben so schön? Die Hoffnung erlischt nie.« Rasch wandte sie sich ab und ging davon, die Kneiphofer Langgasse hinunter, bis sie das Haus der Singeknechts erreicht hatte.

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    Nachbemerkung
    D eutschland, 1658 . Zehn Jahre sind seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges vergangen, doch wirklich vorbei ist der »teutsche Krieg« mit dem Friedensschluss von Münster noch lange nicht. Weite Teile des Landes zeigen deutliche Spuren der Kämpfe. Manche Regionen, Städte und Siedlungen sind auf Jahrzehnte hin verwüstet und nahezu vollständig entvölkert. Die gewaltigen Bevölkerungsverluste gehen weniger auf die Gefechte selbst zurück. Verheerender sind die Seuchen und Hungersnöte gewesen, wie sie stets mit Kriegen einhergehen. In weiten Teilen Deutschlands und der angrenzenden Länder forderten sie unzählige Menschenleben.
    Die Menschen leiden nicht allein an diesen sichtbaren Verlusten. Noch schwerer wiegt: Während des drei Jahrzehnte dauernden Krieges ist eine Generation herangewachsen, für die
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