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Heute schon geträumt

Heute schon geträumt

Titel: Heute schon geträumt
Autoren: Alexandra Potter
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kann, werde jedoch augenblicklich auf den Rücksitz katapultiert, als er an den Straßenrand fährt und unvermittelt bremst. Eilig sammle ich meine Sachen ein, die quer über den Sitz gesegelt sind.
    »Tut mir leid«, japse ich in den Hörer und klettere aus dem Wagen. »Danke. Wenn ich vielleicht noch eine Quittung kriegen könnte …« Ich reiche dem Fahrer einen Zehner, als ich mein Spiegelbild in der Fensterscheibe sehe und  mir hektisch das Haar glatt streiche. »Was sagtest du gerade, Dad?«
    Allmählich entwickle ich mich zur Expertin darin, zwei Unterhaltungen gleichzeitig zu führen. Anfangs kam ich ständig durcheinander, aber mittlerweile habe ich es recht gut im Griff.
    »Tja, solange es dir nur gut geht«, sagt Dad, offenbar beschwichtigt. »Wir vermissen nur unser kleines Mädchen, das ist alles.«
    Eine Woge der Zuneigung erfasst mich. Kleines Mädchen? In vier Tagen werde ich 32. Und in acht Jahren 40!
    Okay, dieser Gedanke war völlig unnötig.
    »Ich vermisse dich auch, Dad«, erwidere ich und haste die Treppe hinauf. »Aber du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen, ehrlich.« Meine Absätze klappern auf dem Marmorboden, als ich durch die Glastüren trete.
    »Du bist doch glücklich, oder?«
    An der Wand neben mir hängen mehrere Spiegel. Automatisch betrachte ich mich prüfend darin. »Natürlich«, antworte ich abwesend.
    Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie ein paar Journalisten aus einem Taxi steigen. Meine Nerven flattern. So geht es mir immer vor diesen Mittagessen. Ich muss eine kurze Präsentation des neuen Produkts, das wir repräsentieren, halten, und das hier ist die perfekte Gelegenheit, Presse dafür zu bekommen. Auch wenn das Ganze unter dem Deckmäntelchen eines netten Essens, netter Gespräche und Plaudereien daherkommt, lastet doch ein gewaltiger Druck auf mir.
    »Okay, Dad, ich muss jetzt Schluss machen …«
    »Oh, klar, mach nur. Es war nett, dich wieder mal zu hören.«
    Wieder überkommt mich ein schlechtes Gewissen. Wir  haben kaum ein Wort gewechselt. Aber so ist es eben heutzutage. Als ich noch jünger war, habe ich Stunden am Telefon zugebracht, über dieses und jenes geredet, aber heute kann ich froh sein, wenn ich fünf Minuten aufbringe.
    »Ich rufe dich heute Abend an«, verspreche ich eilig.
    »Oh, ja, prima, Schatz. Ich wünsche dir einen schönen Tag.«
    »Ich dir auch, Dad.«
    Ich klappe mein Handy zu, doch einen Moment lang kann ich mich nicht vom Fleck rühren. Meine Gedanken wandern zu dem Telefonat mit Dad, zu der Frage, die er mir gestellt hat. Bin ich glücklich? Ich meine, bin ich es wirklich?
    »Charlotte!« Ich drehe mich um und sehe eine Frau von Anfang fünfzig. Katie Proctor, eine Journalistin, die ich seit meiner Zeit als Freelancerin kenne. Mit einem breiten Grinsen schließt sie mich in eine parfümierte Umarmung. »Oh, sind die neu?« Sie zeigt auf meine Schuhe. »Die sind ja unglaublich!«
    »Ich wusste ja gar nicht, dass du auch kommst«, rufe ich freudig und drücke ihr einen Kuss auf die Rougewangen. »Du hast mir keine Antwort auf die Einladung geschickt.« Ich werfe ihr einen gespielt vorwurfsvollen Blick zu.
    »Ich weiß, ich bin einfach schrecklich!« Schuldbewusst verdreht sie die Augen. »Verzeihst du mir?«
    Bei jedem anderen hätte ich jetzt Panik bekommen, aber Katie ist eher Freundin als Geschäftspartnerin. »Natürlich. Wie geht es dir?«
    »Hervorragend. Los, holen wir uns etwas zu trinken und plaudern ein bisschen.«
    Sie hakt sich bei mir unter, und gemeinsam schlendern wir zur Bar. Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, was heute mit mir los ist. Allmählich trudeln die anderen Journalisten ein, ich stürze mich in eine Flut aus Luftküssen, gegenseitigemVorstellen  und eisgekühltem Cabernet Sauvignon - mit strahlendem Lächeln werfe ich mich in die Arbeit.
    Natürlich bin ich glücklich. Wieso um alles in der Welt sollte ich es denn nicht sein?
     

Kapitel 4
    Das Mittagessen ist ein voller Erfolg.
    Die Journalisten brechen auf, allesamt leicht beschwipst, mit Geschenktüten in der Hand und dem Versprechen einer positiven Erwähnung. Ich übernehme die gewaltige Rechnung, setze einen nach dem anderen ins Taxi, ehe ich selbst auf dem Rücksitz eines Wagens kollabiere.
    Zumindest glaube ich, dass es ein Erfolg war. Das ist das Problem an meinem Job. Es mag kinderleicht aussehen, an einem Glas Wein zu nippen und gegrillte Ziegenkäsehäppchen und Brunnenkressesalat zu verspeisen, aber in Wahrheit ist Kontaktpflege ein echter
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